Rezension

Zeitmaschine in die Historie

Mehr als tausend Worte - Lilli Beck

Mehr als tausend Worte
von Lilli Beck

Bewertet mit 5 Sternen

Von den überlebenden Juden hört man häufig „ins KZ gekommen – Glück gehabt, weil ich dies oder jenes konnte – als wir befreit wurden“. Diese Erzählungen bringen einem zwar das unerträgliche Leben in den Todeslagern nahe, aber man erfährt kaum was über das Leben vor einer Deportation. 

Ein Punkt, der mich beschäftigt hat, war die Thematik der Raubkunst. Daß Wertgegenstände aus den Wohnungen der deportierten Juden geholt wurden, konnte ich mir noch gut vorstellen. Aber wie haben sich die Nazis ganze Häuser unter den Nagel reißen können? Die Eigentumsverhältnisse sind doch eigentlich in den Grundbüchern geklärt. 

An diesem Punkt hat mich nun Lilli Beck mit ihrem Buch „Mehr als tausend Worte“ abgeholt. Eingebettet in die Rahmenhandlung um die junge Liebe zwischen der jüdischen Aliza Landau und dem arischen Fabian Pagels erzählt die Autorin nun das tägliche Leben der jüdischen Arzt-Familie Landau in Berlin. Dabei läßt sie einen nicht in der distanzierten Komfortzone „damals, nicht jetzt“ oder „dort, nicht hier“. Sie nimmt den Leser wie mit einer Zeitmaschine ins Damals und dort. Quasi als Nachbar der als Stellvertreter fungierenden jüdischen Familie Landau, der „braunen“ Familie Karoschke und der neutralen Familie Pagels erlebt man hautnah die unmenschlichen Veränderungen durch die NS-Herrschaft. Hoffnungen werden immer mehr zu Angst und zu einem Kampf ums Überleben. 

Von vielen, die damals ein Parteibuch hatten, hörte man nach dem Krieg Sätze wie „Ich war doch nur ein kleines Licht, ich habe doch nichts gemacht“. Der Blockwart Karoschke hätte das sicher auch von sich behauptet. Es gibt sicher genügend, die irgendwo in der Gruppendynamik gefangen waren und trotzdem ihren Anstand nicht verloren haben. Es gibt wohl aber auch viele, die sich zwar in der Partei nicht groß engagiert haben, aber in den damaligen Verhältnissen auf widerwärtige Art und Weise ihren Vorteil gesucht haben. Damit haben sie sich aber als vermeintlich kleines Licht ebenso schuldig gemacht. 

Das Buch hat meine Frage beantwortet und viele Fragen, die ich mir noch gar nicht gestellt habe. 

Mein Fazit:

Eingebettet in die Liebesgeschichte von Aliza und Fabian teilt die Autorin ihr gut recherchiertes Wissen über das jüdische Leben in Deutschland und der Emigranten in England in der Zeit von 1938 bis 1945. Ein Buch, das den Leser durch die von der Autorin geschaffenen Nähe zu den Ereignissen emotional sehr berührt. Daher unbedingte Leseempfehlung. Gerne hätte ich mehr wie 5 Sterne vergeben.