Zum Wohl des Kindes
Fiona Maye ist Familienrichterin am High Court in London. Neben den üblichen Scheidungsverfahren gibt es viele ungewöhnliche Fälle, in denen sie nach dem Wohl des betroffenen Kindes zu entscheiden hat. Darf man siamesische Zwillinge operativ trennen, wenn ohne dieses beide sterben werden, durch die OP nur einer, der aber vorzeitig? Wer darf über den Schulbesuch zweier jüdischer Mädchen entscheiden: Der strenggläubige Vater oder die weltoffenere Mutter? Und nun der aktuellste Fall: Der siebzehnjährige Adam ist an Krebs erkrankt und braucht Bluttransfusionen, um eine Überlebenschance zu haben; doch als Angehöriger der Zeugen Jehovas verweigert er selbst wie auch seine Eltern die Blutübertragung. Was ist hier das Wohl des (immerhin fast erwachsenen) Kindes? Darf sich das Gericht überhaupt über seine Wünsche und sein Selbstbestimmungsrecht hinwegsetzen?
Fiona arbeitet voller Engagement; die Fälle nehmen sie auch über die Arbeit hinaus mit. Und so gerät die eigene Ehe der Familienrichterin in Gefahr...
Fiona ist eine interessante Persönlichkeit, die es sich nicht leicht macht. Die Darstellung ihres Charakters ist fesselnd. Das sind auch die Fälle, um die es geht. Oft ist Religion ein Thema, und dazu gehören die Werte, die für einen Menschen zählen, über die aber keine Übereinstimmung herrscht. Es stellt sich die Grundfrage nach dem Sinn des Lebens: Besteht er wie in Adams Fall darin, Gottes Gebote zu halten, wie sie von der Glaubensgemeinde interpretiert werden? Die Frage ist nicht rein akademisch und wird nicht im elfenbeinernen Turm diskutiert; Leben und Tod können davon abhängen. Als Richterin hat Fiona Entscheidungsmacht und muss sich selbst hinterfragen; die Urteile müssen nicht nur gesprochen, sondern auch begründet werden. Welche Auswirkungen das Urteil hat, erfährt ein Richter normalerweise nicht; in Adams Fall ist das anders und Fiona wie auch der Leser müssen sich mit den Folgen befassen.
Als Leser fand ich die Beschreibung von Fionas Persönlichkeitsentwicklung faszinierend; auch der Einblick in die Gerichtswelt hat mich interessiert. Natürlich habe ich mich bei jedem Fall gefragt, wie ich ihn wohl entscheiden würde, und auch ich musste meine Wertvorstellungen reflektieren. Ein Buch, das mehr bietet als pure Unterhaltung.