Rezension

Anstrengend, aber auch sehr tiefsinnig

Sieh mich an - Mareike Krügel

Sieh mich an
von Mareike Krügel

Dieses Buch hat mich auf seine ganz eigene Weise gut unterhalten. Der Schreibstil von Mareike Krügel ist tiefsinnig und trotzdem leicht, und viele Stellen sind es wert zitiert zu werden.

"Sieh mich an" spielt an einem einzigen Tag, einem Freitag und beginnt damit, dass Katharina, Anfang 40, ihre Tochter Helli wegen starkem Nasenbluten aus der Schule abholen muss. Katharina hat einen Knoten in ihrer Brust ertastet und ist sich sicher, dass er bösartig ist und sie nicht mehr lange zu leben hat. Doch diese Tatsache schiebt die Frau, die so gut wie nie zum Arzt geht auf die nächste Woche, bevor sie sich untersuchen lässt, will sie noch ein Wochenende ganz normal verbringen. Normal ist aber gar nichts, denn diesmal kommt ihr Mann Costas nicht nach Hause. Der Architekt ist unter der Woche zum Arbeiten in Berlin und kommt diesmal, wegen einer Feier seiner Firma nicht nach Hause. In Kiel, wo die Familie mit den beiden Kindern Helli und Alex lebt, muss Kathrina derweil das Chaos alleine stemmen, und wenn ich hier Chaos schreibe, dann meine ich das genauso. Ich hab beim Lesen mehrfach die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, ich hätte das keine zehn Minuten ausgehalten, was für Katharina scheinbar zum Alltag gehört.

Die elfjährige Tochter Helli hat ADHS und hält damit ihre Familie in Atem. Als ich lesen musste, was sie zum Teil in ihrem Leben angestellt hat, hatte ich nicht nur Mitleid mit Katharina, nein, ich musste feststellen, dass ich sicherlich schon ganz weit weg geflüchtet wäre, oder man mich längst hätte einweisen müssen. Der 16jährige Alex ist da ein weitaus angenehmerer Vertreter, er spielt im Buch eine etwas kleinere Rolle und bildet den ruhigen Gegenpol zu seiner kleinen Schwester.

An besagtem Freitag geht es drunter und drüber, während einer ihrer Nachbarn sich beim Rasen mähen den Daumen abschneidet, Katharinas Schwester Sissi endlich mit ihr telefonieren möchte, ihr ehemaliger WG-Kollege für eine Übernachtung angemeldet ist, Alex zwischen Tür und Angel seine Freundin vorstellt und am Abend die Ratten ausgebüchst sind, und sich im im Trockner wiederfinden, der zuvor brennend nach draußen entsorgt wurde, rutscht der Knoten in der Brust völlig in den Hintergrund. Zwischen allen Geschehnissen macht Katharina sich Gedanken über ihr Leben, ihre Ehe und die Zukunft ihrer Kinder.

"Sieh mich an" hat mir gut gefallen und ist anders, als das, was ich sonst in der Regel lese. Es ist skurril, dramatisch, witzig, nervig und traurig, alles verpackt in eine wunderbare Sprache. Nach der Leseprobe hatte ich einen etwas anderen Verlauf der Geschichte erwartet, was mich jedoch nicht gestört hat. An meine Grenzen bin ich nur bei den Erzählungen über Hellis Taten geraten. Ich weiß, das Kind ist krank, dennoch hätte ich ihr mehr als einmal den Hals umdrehen können, das war mir zuviel des "Guten". Das Geschehen am Ende war meiner Meinung nach auch sehr übertrieben, da kann ich mir andere, für meinen Geschmack bessere Möglichkeiten vorstellen.

Ansonsten war es ein schöner und unterhaltsamer Ausflug in ein etwas anderes Buch, welches mir gute vier Punkte wert ist.

Ein kleines Zitat aus Sieh mich an möchte ich Euch hier aufschreiben, da es mir besonders gut gefallen hat:

"Denn das Meer ist niemals profan, langweilig und grau. In Wirklichkeit ist es das Einzige, das zu sehen sich lohnt in dieser Welt. Es rückt alles und jeden in die recht Perspektive."

Die Passage, aus der die Sätze stammen, ist noch wesentlich länger und absolut schön geschrieben.