Rezension

Beeindruckend wie ein Hurrikan

Vor dem Sturm - Jesmyn Ward

Vor dem Sturm
von Jesmyn Ward

Die Familie der fünfzehnjährigen Esch lebt seit Generationen auf dem „Pit“ in Bois Sauvage, Mississippi, einem Grundstück mitten im Wald, das nunmehr ziemlich verwahrlost und mit Autowracks und anderem Schrott zugestellt ist. Die vier Kinder sind größtenteils auf sich alleine gestellt, seit die Mutter bei der Geburt des Jüngsten starb und der Vater seitdem seine Trauer in Alkohol ertrinkt und keiner geregelten Arbeit nachgeht. Die Familie ist arm, die Geschwister halten so gut es geht zusammen und jeder von ihnen sucht auf seine Weise nach Anerkennung und Liebe.
Randall, der Älteste, setzt alle seine Hoffnungen auf sein Basketball-Talent.
 Skeetah liebt seine Pitbull-Hündin China abgöttisch und tritt mit ihr bei Hundekämpfen an, so hat er etwas, das ihm Stolz und Anerkennung verschafft. China hat gerade zum ersten Mal Welpen geboren und Skeetah erhofft sich Geld, wenn er sie später verkauft.

Junior, der Jüngste sieht in Esch seine Ersatzmutter und ist von seinen Geschwistern großgezogen worden.

Und schließlich Esch selbst, die Anerkennung und Liebe mit dem falschen Ansatz sucht. Seit sie zwölf war, hat sie sich auf Sex mit den Freunden ihrer Brüder eingelassen. Nicht, weil sie es wollte, sondern weil sie dachte, dass die Jungs es wollen und es für sie leichter war, als Nein zu sagen. Erst jetzt ist sie zum ersten Mal wirklich in Manny verliebt und stellt fest, dass sie von ihm schwanger ist.
Wir begleiten Esch und ihre Familie über zwölf heiße Sommertage im Jahr 2005, die schließlich im verheerenden Hurrikan Katrina enden.
Jesmyn Ward schreibt in einer sehr bildhaften Sprache, gespickt mit Metaphern und Vergleichen, die vor meinen Augen die bleierne Hitze des Südens und die Armut der Familie auferstehen ließen. Die Autorin ist selbst Afro-Amerikanerin und hat die Armut der Schwarzen in den Südstaaten und Hurrikan Katrina selbst erlebt.  Dementsprechend empfand ich die Kapitel über den Hurrikan als den besten Teil des Buchs, während im Vorfeld vor allem Hündin China eine große Rolle im Buch spielt. Jedoch sind einige von Wards Vergleichen nicht gelungen, da schlichtweg unverständlich oder falsch, wer da ins Erbsenzählen gerät, sollte besser die Finger vom Buch lassen. 

Wenn Esch ihre Handlungen und Gefühle beschreibt, wirkt sie eher teilnahmslos, so als hätte sie ihre Lage schon in jungen Jahren abstumpfen lassen. Sie begehrt nicht gegen ihr Schicksal auf, sondern träumt von einer Zukunft mit Manny, obwohl dieser eine feste Freundin hat.
Esch ist anfangs sehr distanziert zu ihrem Baby, denkt halbherzig an Abtreibung und macht sich abgesehen von ihrer Träumerei noch keine Gedanken über die Zukunft. Dieses Hinnehmen, die Gedankenlosigkeit von ihr machten mir als Leser zu schaffen. Selbst als die Warnungen vor dem Hurrikan kommen, begreift der Vater als Einziger die Gefahr.
Nach dem Hurrikan besteht die Chance auf einen Neuanfang, doch die Zukunft für die Familie ist nur vage formuliert. Wie es weitergeht, bleibt der Fantasie des Lesers überlassen.
Ich bewerte Romane auch dann als gut, wenn sie mich noch lange daran denken lassen und für viel Diskussionsstoff sorgen, das ist Jesmyn Ward hier auf jeden Fall gelungen.