Rezension

Keine leichte Lektüre - aber kraftvoll!

Vor dem Sturm - Jesmyn Ward

Vor dem Sturm
von Jesmyn Ward

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:
Esch ist 15 und lebt mit ihren 3 Brüdern und dem Vater in einem kleinen Kaff irgendwo in Mississippi. Das Holzhaus, in dem die Familie lebt, ist ziemlich heruntergekommen, überall auf dem Grundstück liegt Sperrmüll, das meiste davon unbrauchbar und kaputt. Der Vater ist alkoholabhängig, und Esch ist das einzige weibliche Wesen in der Familie, seit die Mutter bei der Geburt des jüngsten Bruders gestorben ist. Und was noch viel problematischer ist: Esch ist schwanger, wird aber vom Vater des ungeborenen Kindes ignoriert. Irgendwie muss Esch versuchen mit ihrer Situation, ihrem Leben zurechtzukommen ...

Meinung:
Jesmyn Ward hat mit diesem Buch ein starkes, kraftvolles Stück Literatur geschrieben! Sie umreißt in dem Buch zwar nur 12 Tage aus dem Leben von Esch und ihrer Familie, aber mir kommt es so vor, als wären es mehere Jahre, so intensiv ist es geschrieben!
Zugegeben, es ist keine leichte Lektüre. Wer ein Buch mal eben zum Weglesen sucht, sollte von "Vor dem Sturm" die Finger lassen!
Dies liegt zum einen an der metapherreichen, poetischen Sprache. Fast jeder Satz ist mit einer Metapher gespickt, so dass im Prinzip nicht die Handlung im Vordergrund steht, sondern Eschs Sicht auf die Dinge, ihre Wahrnehmung und Beschreibung der Umwelt. Doch ich finde, gerade darin liegt die Schönheit und die Kraft des Buches! Ich konnte mich sehr gut in Esch und ihre Welt einfinden und habe nach einiger Zeit gelernt, die Sprache zu genießen!
Zum anderen ist das Buch keine einfache Lektüre, weil es kaum eine aufeinander aufbauende Handlung gibt. Zwar beschreibt Jesmyn Ward die 12 Tage vor dem Wirbelsturm Katrina und streut auch immer wieder Hinweise ein, dass der Hurrikan sich nähert, aber die Protagonisten selbst nehmen die Sturmwarnungen kaum ernst (mal abgesehen vom stets betrunkenen Vater, der immerhin versucht, seine Familie und sein Haus zu schützen). Erst die letzten drei Tage lassen so etwas wie Spannung aufkommen, als der Sturm über das kleine Städtchen herinbricht.
Ansonsten geht es viel um Hundekämpfe: Eschs Bruder Skeetah besitzt einen Kampfhund namens China, den er mehr zu lieben scheint als die Menschen um ihn herum. Beschreibungen von China nehmen viel Raum in dem Buch ein, und ich kann verstehen, wenn viele Leser damit nichts anfangen können. Doch ich verstehe China auch wiederum als Metapher für irgendetwas und habe mir viele Gedanken um Parallelen zu Esch bzw. die tote Mutter gemacht.

Fazit:
Wer sich auf dieses Buch mit seinem eigentümlichen Schreibstil einlässt, bekommt eine emotionale und intensive Geschichte von einer Familie  geboten, die am Rande von Amerikas Gesellschaft ihr Dasein fristet und irgendwie versucht, ihr Leben zu leben. Es ist ein Buch über das Leben und Überleben, über den täglichen Kampf um Anerkennung, Würde und Solidarität innerhalb der Familie. Mich hat dieses Buch sehr berührt und es wirkt immer noch nach!
5 von 5 Sternen