Rezension

Behutsam und elegant

Ein untadeliger Mann - Jane Gardam

Ein untadeliger Mann
von Jane Gardam

Bewertet mit 5 Sternen

"Haben Sie das alles mal aufgeschrieben?"
"Bestimmt nicht. Die Memoiren alter Kronanwälte sind doch allesamt sterbenslangweilig. Finden Sie nicht?"
"Doch. Aber vielleicht hätten Sie uns ja überrascht."
"Ich habe mir ein Image aufgebaut, Veneering. War harte Arbeit. Da werde ich doch jetzt nicht dran rütteln."

"Old Filth" ist bereits zu Lebzeiten eine Legende. Im "Inner Temple", wo Londons Anwälte ein- und ausgehen, spricht man mit Anerkennung von dem ehemaligen Richter und Kronanwalt. Jetzt, da seine Frau Betty gestorben ist, tut sich ein großes Vakuum in seinem Leben auf. Er macht sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit, seiner Identität. Durch eine Fülle von raffinierten Rückblenden setzt sich dem Leser Stück für Stück das grandiose Puzzlespiel der Lebensgeschichte des Edward Feathers, "Old Filth", zusammen. Dabei braucht der Leser schon eine gewisse Portion Geduld; zum Beispiel wartete ich sehr lange darauf, zu erfahren, wie der schwierige nachbarschaftliche Kontakt der beiden ehemaligen Erzfeinde Filth und Veneering sich entwickelt. Mein braucht gewissermaßen einen langen Atem. Aber das ist kein Nachteil. Auf jeden Fall bin ich sehr fasziniert von dem feinen Stil. Jane Gardam geht mit ihrer Hauptfigur so scharfsinnig wie liebevoll um. Schicht für Schicht entschälen sich die Rätsel des komplizierten Lebenslaufes dieses außergewöhnlichen Menschen, der einem mit all seinen immer offensichtlicher werdenden Unzulänglichkeiten und Unnahbarkeiten immer mehr ans Herz wächst.

"Ganz schön selbstbewusst, dachte Filth. Ich verstehe die Kinder heutzutage nicht mehr. Sir hätte ihn übers Knie gelegt. Dann: Was für ein Unfug. Sir hätte ihn doch nie übers Knie gelegt. Sir hätte ihm die Vogelwelt erklärt."

"Sir", der namenlose Schulleiter, ist die vielleicht wichtigste Bezugsperson im Leben des jungen Eddie Feathers; in seiner Obhut lebt der traumatisierte Junge auf und legt allmählich sein Stottern ab. Liebevoll und doch nüchtern sind die vielen wichtigen Nebenfiguren gezeichnet; behutsam und elegant spinnt die Autorin das feine Gewebe der sich entfaltenden Lebensgeschichte zu einem sich schlüssig verdichtenden Gesamtbild.

Das Buch liest sich nicht mühelos nebenbei. Manche Sätze musste ich schon mal mehrfach lesen. Und war mir trotzdem nicht sicher, ob ich sie wirklich richtig verstanden hatte. Und dennoch habe ich mich in diesen hinreißenden Stil verliebt, in die wie angegossen sitzenden Dialoge, in die gelungene sprachliche Umsetzung. Dabei darf man auch nicht übersehen, dass die Übersetzerin keine Unbekannte ist. Wer auf der Suche nach einem anspruchsvollen Lesevergnügen ist, der sollte hier auf jeden Fall fündig werden.

(Queen Mary finde ich übrigens klasse. Wenn sie wirklich so war wie in dem Buch beschrieben, dann war sie eine wahre Königin.)

Kommentare

UJac kommentierte am 17. April 2016 um 12:08

Schöne Rezi! Wie gesagt, einiges macht im Zusammenhang mit dem zweiten Teil "Eine treue Frau" dann noch mehr Sinn, bzw. wird darin noch vertieft.

Arbutus kommentierte am 18. April 2016 um 23:19

Zumindest ist meine Neugier geweckt : )

katzenminze kommentierte am 19. April 2016 um 20:39

Schööön! <3

Witzigerweise sind mir die Stellen die du zitierst auch im Kopf geblieben. Gerade die über die Memoiren ist so wunderbar ironisch. Wie du sagst: Auf den Punkt.