Rezension

Daran beißt man sich die Zähne aus – zu zäh!

Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht -

Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
von Julia Jost

Bewertet mit 2.5 Sternen

Das autofiktionale Romandebüt von Julia Jost dreht sich um ein Mädchen, das Anfang der 1990er Jahre in einem Kärntner Dorf aufwächst, entdeckt, dass sie nicht so ist, wie ihre Eltern sie als Mädchen gern hätten, und ebenso wie einer ihrer Brüder auch politisch nicht ins Bild der heimattreuen, österreichischen Familie passt.

Die Geschichte des Romans ist zentriert um eine Situation herum, die in 1994 stattfindet. J. (unsere Ich-Erzählerin) ist 11 Jahre alt und ihre Familie zieht aus dem Gasthof-Gebäude, welches den Eltern gehört, aus. Sie spielt mit ihrer Freundin Luca Verstecke und während Luca von Einhundert rückwärts zählt, schweift J. gedanklich in vergangene Situationen und Familienmythen ab. Immer wieder kehren wir im Text zurück zu diesem Moment des Versteckspiels, der auch der einzige ist, der im Präsens erzählt wird. Alle Erinnerungen und Anekdoten werden im Präteritum erzählt.

Grundsätzlich erscheint das Romankonzept auf den ersten Blick äußerst ansprechend. Die Inszenierung wirkt geschickt eingefädelt und man freut sich auf eine (Zitat Verlagsinternetseite) „Coming-of-Age-Geschichte voller Drive und Witz“. Leider bekommt man nur den ersten Teil der Versprechung, den zweiten kann der Roman nicht halten.

So liest sich „Wo der spitzeste Zahn…“ über die nur 230 Seiten unglaublich zäh. Eine Familien- bzw. Dorfanekdote reiht sich an die nächste. Erst im Verlauf wird klarer, welche überhaupt relevant für unsere Erzählerin ist. So zum Beispiel der tragische (aber nicht sonderlich tragisch erzählte) Tod eines Mitschülers in 1989. Dieses Ereignis wird auch später noch Auswirkungen auf die beteiligten Personen haben, leider transportiert sich dies überhaupt nicht auf der emotionalen Ebene. Generell fehlten mir die Emotionen dieses erzählenden Mädchens. Recht lakonisch erzählt es grausamste Geschehnisse herunter, wie man es sich bei einem 11jährigen Mädchen kaum vorstellen kann. Diesbezüglich drängt sich auch ein Problem mit der Erzählperspektive auf. Da die Versteckspiel-Szene im Präsens als Ausgangssituation von der aus das Mädchen ihr Wissen speist werten muss, passt neben dem Ton auch das Wissen der kindlichen Erzählerin nicht so recht ins Bild. Beschreibt sie doch haarklein, dass die Mutter einer Mitschülerin in die DDR gegangen ist und die Familie für einen SED-Funktionär (diese Worte!) verlassen habe. Da kommen Zusammenhänge zum Tragen, die nicht zum Verständnisraums eines Kindes, welches – so erleben wir es in anderen geschilderten Situationen – von ihren Eltern nicht als vollwertiger Mensch angesehen und größtenteils ignoriert wird, außer es entwickelt sich eben nicht so, wie es als Mädchen sollte. Zu einem Lapsus kommt es, wenn es auf Seite 44 heißt: „meine erste Cola habe ich mit einundzwanzig getrunken“. An keiner anderen Stelle gibt es einen Hinweis darauf, dass J. Von einem späteren Zeitpunkt als dem in 1994 heraus erzählt. Somit sehe ich für mich das Problem mit der Erzählperspektive bestätigt.

Ich nehme an, es soll sich hierbei nicht nur um eine reine Coming-of-Age-Geschichte um dieses Mädchen aus dem LGBTQ+Spektrum, sondern vielmehr um einen Gesellschaftsroman, der das Leben und die alltäglichen Sorgen, Intrigen und Anekdote von Menschen aus dem ländlichen Österreich handeln. So scheinen immer wieder die rechtspopulistischen Gesinnungen der Dorfbewohner durch, wenngleich die bosnische Einwandererfamilie von Luca als Arbeiter gern gesehen sind. Leider taucht die Erzählerin kaum in Lucas Geschichte ein, was vielleicht widerspiegeln soll, wie diese Menschengruppe zu der Zeit ignoriert wurde. 

Ich hatte so meine Schwierigkeiten nicht nur mit der Erzählperspektive sondern auch mit der Geschichte an sich, da die Handlung sehr reduziert ist und sich auf wild aneinandergereihte Anekdoten stützt. Man wird hier mit, wie ich finde, sehr vielen eher unwichtigen Details versorgt, mit der Beschreibung von Menschen, Umgebungen, Situationen, Familienmythen. Es kommt zu zahlreichen Abschweifungen, bis man gar nicht mehr richtig weiß, wie man dort überhaupt hingekommen ist. Am Ende hatte ich den Eindruck, viel weniger gelernt zu haben, als die Geschichte eigentlich hergegeben hätte. Jedenfalls nicht in dem Maße, welches Volumen die Abschweifungen im Buch einnehmen. Vieles wirkte auf mich eher ablenkend und störend. Für wen solche wilden Szenenwechsel und das Anschneiden von Themen etwas ist, wird hier vielleicht besser mit dem Roman zurechtkommen. Für mich war bis auf das letzte Drittel des Romans, dieser unglaublich zäh zu lesen. Wobei das letzte Drittel auch nicht den genannten „Drive“ entwickelte, aber zumindest musste ich mich nicht mehr durch die Sätze quälen. Dort wird auch das rechte Gedankengut am interessantesten sprachlich ausgehebelt und vorgeführt.

Somit kann ich aber leider keine Leseempfehlung für den Roman aussprechen, auch wenn ich das Szenario ganz grundsätzlich und auch den ein oder anderen prägnanten, pointierten Satz sehr gut fand.

2,5/5 Sterne