Rezension

Der Fünfte im Spiel

Revival - Stephen King

Revival
von Stephen King

Bewertet mit 5 Sternen

★★★★★

Jamie Morton ist sechs Jahre alt, als ihm der Pfarrer Charles Jacobs begegnet. Wie schicksalhaft das für beide sein soll, wird nach und nach klar. Jamie leidet mit Charles mit, als dessen Frau und Sohn bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommen. Charles hält eine verhängnisvolle letzte Predigt und muss Harlow verlassen. Die Gemeinde bekommt keinen weiteren Pfarrer mehr und Charles wird mehr und mehr zum Schausteller auf Jahrmärkten. Und doch bleiben die beiden weiter auf seltsame Weise verbunden. Sie sind über Jahre hinweg immer der „Fünfte im Spiel“ für den anderen. Doch langsam ahnt Jamie, dass die Dinge anders sind, als sie scheinen …

 

Wir erfahren von Jamie die ganze Geschichte. Auf diese Weise erfahren wir alles, was von 1962, als er Charles kennenlernte, bis 2014, als es zum großen Showdown kommt, geschehen ist. King schafft es, uns an Jamies Lippen hängen zu lassen und uns von ihm aus der schönen, guten alten Zeit erzählen zu lassen. Ganz langsam kriecht der Horror, das Unerwartete heran und wir bemerken es erst, als es zu spät ist. Als mir klar wurde, was Charles vor hat, hatte ich fast Angst, weiterzulesen. So viele Protagonisten waren mir ans Herz gewachsen, so viele Orte wurden mir vertraut, dass ich keinesfalls eine Veränderung erleben wollte. Aber so ist King: zuschlagen, wenn es am schmerzhaftesten ist!

 

Der Stil ist locker und leicht, ein wenig unbeschwert und auch flapsig. Immerhin ist Jamie auch einfach nur ein Junge und später ein Mann – ein einfacher Mann. Er schlägt sich mit viel Glück durchs Leben, erlebt Höhen und Tiefen und begegnet immer mal wieder Charles.  Als ihm klar wird, dass die Wunderheilungen Nebenwirkungen haben, stellt er Nachforschungen an. Bree, eine kleine Liebelei von Jamie, hilft ihm dabei. Beide spüren, dass eine schreckliche Gefahr im Anmarsch ist. Aber selbst hier ändert Jamie seine Art zu erzählen nicht. Er bleibt weiter, wie wir ihn kennen und zumindest bei mir wird dadurch der Thrill noch erhöht.

 

Ich staune immer wieder, wie mich King in Sicherheit wiegen kann, wie er ganz harmlos seine Figuren zeichnet und erzählen lässt und wo ich dann völlig ohne Vorwarnung lande. „Doctor Sleep“ hat mich sehr enttäuscht. Das war kein „freier“ King, das war ein Buch, das so geschrieben wurde, wie King dachte, dass die Fans es wollen. Mag auch auf viele zutreffen, auf mich aber nicht. Dafür liebe ich „Der Anschlag“ und „Joyland“. „Revival“ toppt die beiden nicht, ist für mich aber auch ein fünf-Sterne-King. Und King wäre nicht King, wenn er nicht auch auf seine eigenen Bücher anspielen würde! Ich liebe solche Spielerein!

 

Und wie immer gibt es Stellen, die sich festgesetzt haben: „Die drei wahren Lebensalter des Menschen sind Jugend, mittleres Alter und wie zum Teufel bin ich bloß so schnell alt geworden?“ (Seite 355/356) und die Sache mit dem Frosch im Kochtopf  sind zwei solcher Beispiele.

 

Wir begleiten Jamie und Charles insgesamt mehr als ein halbes Jahrhundert lang. In dieser Zeit werden wir unwillkürlich an die eigene Jugend und Kindheit erinnert, an Momente in diesen Jahren, die wir selbst erleben konnten (oder die wir aus den Erzählungen unserer Eltern kennen). Ganz  einfach ist Jamies Leben nie, aber er bekommt immer wieder die Kurve und er wird sehr schnell ein Freund für uns.

 

Ich mag die Stellen so gern, wenn Jamie selbstironisch ist und merkt, er kann uns nicht anlügen und sich selbst schon gar nicht. Die machen die Story so entsetzlich real, so möglich! King hat mich mal wieder von Anfang an eingefangen, auf eine Reise durch seine Welt genommen und mich erst weit nach dem Ende des Buches wieder losgelassen. Ich hoffe, das macht er noch sehr oft mit mir!

 

Schade finde ich, dass die Lektoren und Korrektoren bei Heyne offenbar den Spaß an ihrer Arbeit verloren haben. Jedenfalls habe ich in diesem Buch wieder beim normalen Lesen mehr Fehler entdeckt, als sonst in zehn King-Büchern zusammen!

 

Die Spannung ist eigentlich das ganze Buch über da. Man merkt es anfangs nicht, doch dann ist es, wie das Summen von Strom – man nimmt es kaum wahr, aber es ist da und irgendwann merkt man es und ist beunruhigt. Der Showdown ließ mir dann das Blut in den Adern gefrieren – da war von dieser Harmlosigkeit des Buches nichts mehr übrig!

 

Wer Horror á la Kettensägenmassaker sucht, der wird hier enttäuscht. Wer King aber über Jahre hinweg durch seine Welt und Werke begleitet hat, findet hier einen Leckerbissen vom Feinsten. Und wird noch lange nach der Lektüre ehrfürchtig über den Tod und das Jenseits nachdenken. DAS ist für MICH der wahre Horror, nicht massenweise blutüberströmte Mordopfer. So nebenbei bemerkt: auf den Büchern von King steht seit Jahren nicht mehr „Horror“, da steht einfach nur „Roman“. Vielleicht sollte man das beim Lesen beachten!

 

Von mir jedenfalls erhält „Revival“ fünf Sterne!

★★★★★ (ړײ)¸¸.•´¯`»