Rezension

Ehrlich, ungeschönt und atmosphärisch... Alltag & Perspektivlosigkeit auf dem Lande

Niemand ist bei den Kälbern - Alina Herbing

Niemand ist bei den Kälbern
von Alina Herbing

Bewertet mit 5 Sternen

Christin ist Mitte 20, ihr Vater schlimmer Alkoholiker, ihre Mutter irgendwann einmal abgehauen. Christin lebt nun bei ihrem Freund auf dem Milchviehhof seiner Eltern in Schattin, einem Ort in Nordwestmecklenburg, unweit der emehaligen Grenzlinie. Sie hat keine Ausbildung, hilft beim Melken, Ernten, Putzen, bei den Kälbern... Es ist aber für sie nicht das, was sie sich erträumt vom Leben. Christin möchte am liebsten raus aus diesem Landleben, in die nahegelegene Stadt Hamburg vielleicht, etwas "erleben". Andererseits aber ist sie antriebslos, perspektivlos und schafft es nicht wirklich auszubrechen. Mit einer Menge Makeup und kirschrotem Nagellack versucht sie, leise zu rebellieren. Trost und Abwechslung können lediglich Alkohol und eine Affäre verschaffen. Christins unglaubliche Trägheit steht ihrem fast schon verzweifelten Wunsch nach Anerkennung gegenüber. Ein Wunsch, der ihr nie erfüllt wird. So flüchtet sie sich in Situationen, in denen sie zu leben glaubt und Anerkennung findet, obwohl diese von Gewalt überschattet ist. Aber hauptsache Anerkennung.

Diese Tristesse im Leben der jungen Frau beschreibt die Autorin so intensiv & atmosphärisch, dass es mir als Leserin oftmals kalt den Rücken runterläuft. Man weiß nicht, ob man sie mögen oder hassen soll. Aber so viel Antriebslosigkeit kommt auch nicht von ungefähr... Auch das beschreibt Herbing eindrucksvoll. Wenn auf dem Lande nur Geldnot und Existenzprobleme im Vordergrund stehen, man in dieser Misere aufwächst, wo in erster Linie Alkohol, Kriminalität und Affären über Perspektivlosigkeit hinweghelfen sollen, dann braucht es eine Menge Kraft um dem zu entkommen. Alle Charaktere, die in diesem Roman auftreten, sind in ihrer Art wohl überspitzt und recht problembehaftet gezeichnet. Dennoch zeigt dies, teils in derbem Ton, teils in träumerischen, poetischen Sequenzen, wie es eben auch sein kann auf dem Lande. Idylle weit entfernt.

Ob Christin den Absprung schafft, bleibt offen. Aber man kann am (heftigen) Ende vorsichtig hoffen...

Fazit: Ehrlich, ungeschönt, atmosphärisch, unbequem... mit einer knappen, unverschnörkelten und direkten Sprache, zugleich aber extrem bildhaft, zieht mich Herbing hinein in diesen Roman und lässt mich selbst am Ende nicht los. Derbe, grausam und poetisch zugleich. Hoffnungslos und doch ein bisschen Licht. Grandioses Debüt. Bin beeindruckt!