Rezension

Ein absolutes Highlight in Thematik und Sprache. Eindrucksvoll.

Ehre - Elif Shafak

Ehre
von Elif Shafak

Im Namen der Ehre.

Ehre ist ein Wort, dessen einzelne Lettern in goldener Schrift ihren Raum im Inneren des Menschen einnehmen sollten, um für Moral und Ethik im Denken und Handeln ein sicheres Fundament zu bilden. Aber der Mensch benutzt diese Ehre nach seinem Gutdünken, er verformt ihren Sinn, erpresst in ihrem Namen, er degradiert sie zum Werkzeug  seiner Überzeugungen , zum Diener seiner Verblendung und das Gold ihrer Buchstaben wird blind und befleckt, dunkel von Schuld und rot von Gewalt.

Auch im Leben der beiden Zwillingsmädchen Pembe und Jamila spielte der Begriff Ehre von Beginn an eine tragende, ja nahezu tragische Rolle. Um dieser Ehre Willen nahm Adem Toprak Pembe zur Frau, zog dann mit ihr und den Kindern nach London und Pembe ließ ihre Schwester zurück, die als Hebamme in einem kleinen, kurdischen Dorf arbeitete. Dennoch verband die Beiden ein Leben lang eine tiefe innere Beziehung, durch die Eine der Anderen Schicksal mit erspürte.

Ausgehend vom Leben dieser beiden Mädchen entwickelt sich eine wunderbare, umfassende Familiengeschichte, die ihren Beginn ungefähr in der Mitte der vierziger Jahre hat und erst im Jahre 1992 ausklingt.

Man erlebt das Geschehen aus den Perspektiven der einzelnen Personen, erkennt in Rückblicken die Zusammenhänge und Bezüglichkeiten ihrer Handlungen, die intensiv und ergreifend dargestellt werden. Diese miteinander verknüpften Schicksale verlaufen nach unsichtbaren, zwanghaften Gesetzmäßigkeiten, die durch überlieferte Dogmen erstellt worden sind. Durch das Eingebundensein in ihre kurdisch-türkische Herkunft, welche die Menschen auch in der Fremde oft fremd bleiben läßt, werden Liebe, Hingabe und Vergebung Opfer einer unerbittlichen Lebensdoktrin, die Gefühl nicht toleriert und Aufbegehren ahndet.

Man wird während des Lesens so stark in das Geschehen miteinbezogen, dass man in sich eine unstillbare Forderung verspürt, weiterzulesen, alles wissen zu wollen, ans Ende zu kommen, alle einzelnen Teile dieser Familiengeschichte auf den geschriebenen Seiten zu finden und ungeduldig, fast etwas atemlos, zusammenzufügen.

Und wenn man das Bild erstellt hat, ist man stumm und ergriffen, ausgefüllt von Elif Shafaks gewaltigem Werk, das mit seiner reichen und feinfühligen Sprache unser Inneres erreicht hat und von dort nicht wieder weggehen wird ohne seine Spuren zu hinterlassen.

Erst wenige Male habe ich bisher Bücher gefunden, von denen ich gesagt habe, dass sie zu den Besten gehören - die Besten, das sind die, welche man begrüßt wie einen Gast und verlässt wie eine Heimat.

 

Und hier habe ich für mich persönlich wieder ein solches entdeckt.

 

Mein großer Dank geht an Elif Shafak und den Kein & Aber Verlag.

An alle Freunde unvergesslicher Literatur geht meine uneingeschränkte Leseempfehlung.