Rezension

Ein eindringliches Plädoyer für Solidarität und Zivilcourage - gegen das 'Wegschauen'

Kleine Dinge wie diese -

Kleine Dinge wie diese
von Claire Keegan

Bewertet mit 5 Sternen

"Kleine Dinge wie diese" von der irischen Autorin Claire Keegan erschien in deutscher Übersetzung von Hans-Christian Oeser im Steidl Verlag, 2023 (HC, gebunden, 112 Seiten). Ich hatte bereits sehr begeisterte Stimmen von Lesefreunden vernommen, die mich auf diese Autorin und ihre Werke sehr neugierig machten. Meine Erwartungen wurden mehr als erfüllt und so wird 'Small Things like these', wie das englische Original lautet, nicht der letzte Roman sein, wohl aber ist es der Erste:

 

Inhalt:

 

Bill Furlong, Kohlenhändler im irischen County Wicklow, New Ross, Mitte der 1980er Jahre: Die Menschen suchen durch die katastrophale Wirtschaftslage, die sich in hoher Arbeitslosigkeit, Entlassungen zeigt, neue Perspektiven in London, New York oder Boston, die Auswanderungsquote ist hoch. Doch Bill Furlong hat es trotz schwierigem Start ins eigene Leben geschafft, mit Eileen und seinen 5 Töchtern ein gutes Leben zu haben: Ihm ist es wichtig, dass alle Töchter einen guten Schulabschluss machen, im Gegensatz zu seiner Ehefrau entgeht ihm aber nicht, dass es vielen anderen Familien nicht gut geht: So lindert er das Leid und den Mangel, indem er z.B. ein Kind mitnimmt, das am Straßenrand läuft und ihm sein Kleingeld schenkt. Abends bespricht er "die kleinen Dinge" mit seiner Frau und erzählt ihr eines Tages, was sich bei der Wäscheauslieferung ins Kloster (Nonnen von den guten Hirten) zugetragen hat: Er machte eine Entdeckung im Kohlenkeller des Klosters, die ihn psychisch zutiefst mitnahm und in einen emotionalen Ausnahmezustand brachte, so dass er sich beim Rückweg völlig verfahren hatte...

 

Nach diesem verstörenden Ereignis stellt er sich selbst Fragen; ist dankbar für die Aufnahme seiner Mutter bei Mrs. Wilson, die sowohl die Mutter als auch ihn in seiner Kindheit sehr unterstützte, wobei die Konfession in diesem Haus eine untergeordnete Rolle spielte und Mrs. Wilson eine unabhängige Frau war, die auf die Meinung anderer Leute keinen Wert legte. So wuchs er selbst ohne Vater auf, hatte aber immer Verbindung zum Anwesen und zu Ned, den Knecht wie auch zu Mrs. Wilson. Nun selbst Familienvater, ist ihm bewusst, dass auch seiner Mutter ein Aufenthalt bei den Nonnen sicher gewesen wäre, wenn es da nicht Mrs. Wilson gegeben hätte: Er weiß, dass die Meinung der Bevölkerung auseinandergeht, was das Kloster betrifft: Die Wäscherei hat jedoch einen guten Ruf, da sie stets in einwandfreiem Zustand zu den Priestern und wohlhabenden Mitbürgern zurückkommt: Man munkelt jedoch auch, dass es dort Mädchen von zweifelhaftem Ruf geben solle, die von morgens bis abends die Böden wienern und schuften. Doch genau weiß dies keiner, da kaum etwas nach außen dringt.

 

Mein Leseeindruck:

 

Dieser wundervolle Roman, der auf engem Raum so vieles ausdrückt, was zwischen den Zeilen zu lesen ist, hat mich sehr begeistert: Wird anfangs eher die Geschichte von Bill erzählt, seiner Herkunft und seinem Weltbild, das zunehmend Risse bekommt, da er sensibel, empathisch, großmütig und sehr menschlich ist, so zeichnet sich bald ab, dass ihm bei der Auslieferung der Kohlenlieferung im Kloster (und nach dem Ereignis im Kohlenkeller) eine trügerische Farce seitens der Oberin aufgebunden wird: Anfangs eingeschüchtert, durchschaut er mehr und mehr die Mechanismen der Macht und muss (und wird) sich am Ende entscheiden, ob er klein beigeben - oder ob er etwas unternehmen wird.

 

Allein durch die Figur des Bill Furlong, der ein großes Herz und viel Gerechtigkeitssinn hat, erhält dieser Roman trotz seiner knapp bemessenen Seitenzahl eine unglaubliche Dynamik: Man kann die innere Entwicklung dieses sympathischen Mannes auf sehr menschliche Art und Weise mitverfolgen, der sich seiner Mitverantwortung stellt und handelt!

 

Der Stil Claire Keegan's ist schnörkellos und geradlinig, er transportiert in jedem Satz nicht nur Worte, sondern auch tiefe Emotionen; die kurzen Kapitel, in denen wir Bill Furlong begleiten, in Kälte und Winter zum Kloster fahren, sind atmosphärisch und haben eine hohe Sprachdichte, wobei der Roman sehr gut zu lesen ist, was ich überaus schätze. Auch die Tatsache, dass Bill seinen Vater nie kennenlernte, verschafft der Geschichte um die berüchtigten "Magdalenen-Heime" in Irland (und Großbritannien) eine zusätzliche Spannung.

 

Fazit:

 

Ein überaus lesenswerter, kurzer, aber voller tiefer Emotionen steckender Roman, in dem es um die Auflehnung gegen Machtmissbrauch von Schutzbefohlenen geht. Für Mitmenschlichkeit und Verantwortungsbewusstsein. Gegen das Wegschauen und das Verdrängen. Für Zivilcourage und persönlichen Mut, der in der Person von Bill Furlong zutage tritt. Den betroffenen Mädchen hätte man zu dieser Zeit (erst 1996 wurde das letzte Magdalenenheim in Irland geschlossen!) viele Bill Furlong's gewünscht! Eine absolute Leseempfehlung und 5*!