Rezension

Ein "historischer Roman" ohne Historie - das Buch hat mich nicht überzeugt

Die Tuchvilla
von Anne Jacobs

Bewertet mit 3 Sternen

Die Autorin entführt die Leser in das Augsburg von 1913.

In der herrschaftlichen Villa der Fabrikantenfamilie Melzer läuft das Leben in – für die damalige Zeit – normalen Bahnen ab.

  • Der Vater verbringt die meiste Zeit in seiner Fabrik und verdient viel Geld.
  • Die Mutter, aus verarmten adeligen Hause gibt dasselbe für sich und ihre Familie aus.
  • Der Sohn studiert auf Befehl des Vaters Jus in München und führt ein recht komfortables Studentenleben.
  • Die kapriziöse Tochter Kitty malt und becirct alle mit ihrer Schönheit.
  • Die zweite Tochter, Elisabeth, mollig und griesgrämig, ist auf Kitty neidisch und spinnt allerlei Intrigen.

Ein wenig Unruhe erfährt der Haushalt als Marie, ein Waisenmädchen als Küchenmädchen engagiert wird. Die alt eingesessenen Dienstboten betrachten das Mädchen argwöhnisch, da es sich nicht einschüchtern lässt. Weder von der „Gnädigen“ noch von der intriganten Hausdame, die selbst Butter am Kopf hat, wie der geneigt Leser erfahren muss.

Das Buch beschreibt die Lebensweise des Personals aus dessen Sicht recht anschaulich. Die Autorin schreibt leicht und flüssig. Es kommt kaum Langeweile auf. Die Figuren haben Ecken und Kanten.

 

Mich stört, dass das Werk als „historischer Roman“ vermarktet wird. Historie kann ich kaum erkennen. Außer dem deutschen Kaiser wird keine historische Persönlichkeit genannt, von einem Auftritt in der Geschichte ganz zu schweigen. Wenn nicht die Jahreszahl und der Ort des Geschehens (Augsburg) angeführt wären, könnte die Geschichte überall in Deutschland/Österreich ev. England zwischen 1848 und 1914 spielen. Selbst in den Schlusskapiteln, die zeitlich im Frühjahr/Sommer 1914 angesiedelt sind, merkt man wenig von der drohenden Kriegsgefahr.

Mag sein, dass das Säbelrasseln des Deutschen Kaisers in der Provinzstadt Augsburg weniger deutlich zu hören war als in München oder Berlin. Dennoch, der Bräutigam von Elisabeth, ist immerhin Leutnant, der müsste doch über die aktuelle Gefahr informiert gewesen sein.