Rezension

Erarbeitet sich ein sehr gutes Ende umständlich

The Woman in the Window - Was hat sie wirklich gesehen? - A. J. Finn

The Woman in the Window - Was hat sie wirklich gesehen?
von A. J. Finn

Bewertet mit 4 Sternen

Ich muss zugeben, dass mich der Titel, der Klappentext und auch der Stil von „The Woman in the Window“ sehr stark an „Woman in Cabin 10“ erinnert hat. Dieses Buch hatte mich schon ganz gut unterhalten können, so dass ich mir gedacht habe, dass ich mit diesem Werk hier nun nichts falsch machen kann, denn ich finde es großartig, wenn Autoren es schaffen, mich an der Nase herumzuführen und überraschende Wendungen auffahren können.

Auch das Grundgerüst der Geschichte hat mich schon sehr an „Woman in Cabin 10“ erinnert, da wir es mit einer Protagonistin zu tun haben, die psychische Probleme hat und neben Medikamenten auch viel Alkohol zu sich nimmt. Diese Grundausrichtung ist auf Dauer sicherlich langweilig, aber ich verstehe, warum beide Autoren ihre Protagonistinnen so zeichnen. Denn wenn man jemanden hat, auf den kein vermeintlich kein Verlass ist, dann wird es auch für den Leser spannend: kann ich der Sicht auf die Dinge vertrauen, der ich ausgeliefert bin? Diese Grundfrage ist über das ganze Buch hin präsent und sorgt definitiv für einen durchgängigen Spannungsfaktor.

Der Einstieg in das Buch ist mir etwas schwer gefallen, da der Schreibstil zu Beginn noch sehr sprunghaft wirkt. Das hat auch zur Folge, dass man zunächst die einzelnen Handlungen nicht so recht zusammenbringen kann und sich fragt: was soll das Ganze? Zudem hat Anna Fox eine ausgiebige Leidenschaft für Schwarz-Weiß-Filme und da ich mich in diesem Genre gar nicht auskenne, hatte ich häufig das Gefühl, dass mir schon entscheidende Dinge entgehen. Jedoch sind das beides Aspekte, die sich mit der Zeit auflösen. An den Schreibstil gewöhnt man sich und auch die losen Zusammenhänge kristallisieren sich immer mehr heraus, so dass man begreift, hier wird es um das große Ganze gehen. Die Leidenschaft für die Filme wird immer schwäche behandelt und hat nur noch am Ende eine kleine Bedeutung, aber es war gut, dass ich insgesamt keine Leidenschaft für diese Filme mitbringen musste.

Der Hauptaspekt der Geschichte, der bereits auf dem Klappentext verraten wird, geschieht zeitlich etwas später und ab diesem Zeitpunkt ist ein durchgängiger Drang da, weiterzulesen. Nicht alles, was danach passiert, erscheint einleuchtend oder spannend, so dass kleine Lesephasen entstehen, wo man sich fragt, warum sich der Autor nun ausruht. Aber da man eben wissen will, wie war das Ganze eigentlich, kann man gar nicht aufhören zu lesen. Für diesen Sog möchte ich dem Autor ein dickes Kompliment aussprechen.

Dass man immer nur weiterlesen musste, hat sicherlich auch daran gelegen, dass die letztliche Lösung zu keinem Zeitpunkt auf der Hand lag. Man konnte als Leser zwar schon ausgiebig spekulieren, aber alles zerschlug sich wieder, es wurden neuen Überlegungen getätigt, aber die Endlösung habe ich gedanklich nicht einmal gestreift. Auch das schafft nun wahrlich nicht jeder Autor, so dass ich auch hier Begeisterung ausdrücken möchte. Mit dieser Erkenntnis ist für mich nun auch klar, dass mit „The Woman in the Window“ einen Ticken besser gefällt, als „Woman in Cabin 10“, da der Gesamtzusammenhang logischer erschien.

Beiden Büchern fehlt aber die tatsächliche Berechtigung Thriller genannt zu werden. A. J. Finn nimmt sich einige Auszeiten, an denen er den einen oder anderen Leser verlieren könnte, weil man bei einem klassischen Thriller einfach andere Elemente gewöhnt ist. Das ist einfach schade in der Genreeinteilung, weil dann schon ganz andere Leser zupacken.

Fazit: Ich habe „The Woman in the Window“ sehr gerne gelesen und bin dankbar dafür, dass ab Seite 100 eine unterschwellige Spannung vorhanden war, die mich mitgesogen hat, so dass ich immer nur weiterlesen wollte. Das Ende ist sehr überraschend und präsentiert einen logischen Endzusammenhang, eine Fähigkeit, die nicht jeder Autor zufriedenstellend aufweisen kann. Der zähe Beginn und die falsche Genreeinteilung kosten daher letztlich nur einen Stern!