Rezension

Erste Einblicke *****

Töchter des Aufbruchs -

Töchter des Aufbruchs
von Marie Pierre

Bewertet mit 5 Sternen

Elsaß-Lothringen, 1910: Pauline übernimmt das Mädchenpensionat in Diedenhofen an der Mosel und damit die schwierige Aufgabe, die jungen Damen nach einem strikten Lehrplan zu unterrichten und sie dennoch zu selbständigen Frauen mit eigenem Gedankengut zu erziehen. Keinesfalls sollen aus ihren Schützlingen unterwürfige Anhängsel ihrer späteren Ehemänner werden. Zudem zwar dezent, aber stets modisch gekleidet, ist Pauline so manchem Einwohner hier im deutsch-französischen Grenzgebiet ein Dorn im Auge, die Gerüchte werden ordentlich befeuert, als ein Fremder als Gärtner eingestellt wird und Suzette, eine neue Schülerin im Institut, plötzlich verschwindet.

Voller Charme mit einigen Einsprengseln in Französisch und fränkischem Platt (Erklärungen ergeben sich direkt aus dem Text bzw. am Ende des Buches im Glossar) erzählt Marie Pierre diese erste Geschichte rund um das Pensionat an der Mosel, intensive Recherche begründet interessante Informationen zu politischen und gesellschaftlichen Hintergründen. Und natürlich steckt viel Liebe im Detail, wie man an den Figuren, deren Kleidung oder den typischen Gerichten erkennen kann, welche nicht nur Köchin Lisbeth stets auf den Tisch zaubert. Neben gesellschaftlichen Konventionen und den damals üblichen Vorstellungen des Frauenbildes kommt auch das Militär nicht zu kurz und wird akkurat beschrieben. Der preußische Hauptmann Erich von Pliesnitz ist ein würdiger Vertreter seines Standes und sorgt für Unterstützung, wo man sie von ihm im ersten Moment gar nicht erwartet. Hinreißende Beschreibungen der Gegend mit Mirabellenbäumen und kühler, würziger Nachtluft, kulinarische Besonderheiten wie Bergamottes de Nancy, hochrädrige Kinderwagen und Pferdefuhrwerke, Kopfsteinpflaster und rauchende Lokomotiven versetzen den Leser mit all seinen Sinnen zurück in diese längst vergangene Zeit, welche so lebendig und realistisch dargestellt wird, als würde gerade alles direkt rund um uns passieren. So fällt es von den ersten Worten an leicht, mit Pauline und ihren Zöglingen, Hauptmann Pliesnitz und einem undurchschaubaren Gärtner mitzufiebern, als Suzette verschwindet. Bestens charakterisiert und vorstellbar ist jede einzelne Figur, mit Akribie und Leichtigkeit gleichermaßen entwirft Marie Pierre ihre Szenen, die den Leser berühren und anhalten mitzurätseln. Gedanken und Gefühle aller Personen kann man richtiggehend spüren, wenn man den Zeilen folgt, sodass jeder Blickwinkel authentisch und nachvollziehbar ist.

Es ist nicht einfach, Worte zu finden für ein Buch, welches von der anfänglichen Figurenübersicht über die Handlung selbst bis hin zum reichhaltigen Glossar und Nachwort vollends überzeugt und einen hervorragenden Einblick gewährt in die geschichtsbehaftete Zerrissenheit der Gegend an der Mosel. Kurzum: ich bin begeistert und empfehle diesen Reihenauftakt sehr gerne weiter!