Rezension

Spannender historischer Roman

Töchter des Aufbruchs -

Töchter des Aufbruchs
von Marie Pierre

Bewertet mit 5 Sternen

„...Zu behaupten, dass sich das Mädchen schwer daran täte, sich den Regeln und Strukturen des Pensionatsleben zu fügen, wäre eine Verharmlosung gewesen. Von Beginn an zeigte sie offenen Widerstand gegen alles,was sie als Einschränkung empfand...“

 

Die Rede ist von der 16jährign Suzette. Pauline Martin hatte die Tochter ihrer Cousine vor kurzem in ihre Schule aufgenommen. Noch ahnt sie nicht, welchen Ärger sie sich mit ihr einhandelt.

Die Autorin hat einen spannenden historischen Roman geschrieben. Die Geschichte spielt im Jahre 1910 im Reichsland Elsass-Lothringen im kleinen Moselstädtchen Diedenhofen.

Der Schriftstil ist sehr fein ausgearbeitet. Er bringt sowohl die politischen Spannungen in diesem Landstrich , als auch die Probleme im Pensionat schnell auf den Punkt. Die Geschichte hat mich sofort in ihren Bann gezogen.

Suzette hat trotz aller Warnungen in der Nacht heimlich das Haus verlassen, um Hermann Krüger, einen preußischen Leutnant, zu treffen. Als sie am nächsten Morgen nicht zurück ist, wendet sich Pauline an Hauptmann Erich von Pliesnitz. Er hat im Ort den Ruf, gnadenlos zu sein. Von Frauen hält er nichts.

Der Roman ist sehr vielschichtig. Zu den Höhepunkten gehören die sehr gut ausgearbeiteten Gespräche. Auf die legt Pauline in ihrem Unterricht sehr viel Wert. Mit Ausschnitten aus „Die Elenden“ von Victor Hugo lässt sie ihre Schüler eigene Gedanken formulieren und Schlussfolgerungen ziehen. An der Stelle wird deutlich, wie unterschiedlich von Herkunft und Einstellung die sogenannten höheren Töchter im Pensionat sind. Sie sind ein Schmelztiegel der politischen Realität. Lassen wir zum Beispiel Sophie zu Wort kommen:

 

„...Wieso soll Fantine als Einzige die Folgen dafür tragen? Zum Sündigen und Kinderbekommen gehören immer noch zwei!...“

 

Natürlich ist sich Pauline klar darüber, dass nicht alle Eltern ihrer Unterricht positiv gegenüber stehen. Trotzdem testet sie die Grenzen aus und kriegt gekonnt die Kurve. Sie will ihre Schülerinnen zu selbstständig denkenden und handelnden jungen Frauen erziehen. Dem Gegenüber steht allerdings die Naivität, Selbstbezogenheit und Aufmüpfigkeit von Suzette. Die will mit dem Kopf durch die Wand.

Nicht minder abwechslungsreich sind die Dialoge zwischen Pauline und Erich von Pliesnitz. Darin schenken sich die beiden nichts. Ein Blick in seine Vergangenheit zeigt, warum er so ist, wie er ist. Pauline aber beeindruckt ihn. Seine Wandlung ist nachvollziehbar. Das merkt man auch an seiner Ausdrucksweise, bei der nun ein feiner Humor aufblitzt.

 

„...Ich hatte versprochen, meine Kontakte spielen zu lassen und ein wenig auf Sie aufzupassen, nicht jedoch die Mutter der Compagnie zu mimen...“

 

Dieser Satz fällt, als Pauline mit ihren Schülern eine Reise nach Saarbrücken unternimmt und der Hauptmann sich, wie versprochen, dazugesellt. Dabei lernen ich nicht nur wichtige Sehenswürdigkeiten der Stadt kennen, sondern auch ein Stück von deren Geschichte.

Es gäbe noch viel zum Buch zu ergänzen. Der Spannungsbogen ist hoch, unterschiedliche Geheimnisse und eine Prise Krimi sorgen dafür.

Auch der Tratsch der Einwohner über das Pensionat bleibt nicht ohne Folgen. Doch Pauline weiß sich zu wehren.

Ein informatives Nachwort, ein Glossar und ein fremdsprachliches Glossar, Hinweise auf wissenschaftliche Beratung und Reisetipps schließen das Buch ab.

Die vordere Umschlagseite enthält eine Karte von Diedenhofen.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.