Rezension

Farbenblind - Der Unterschied zwischen schwarz und weiß

Gehe hin, stelle einen Wächter - Harper Lee

Gehe hin, stelle einen Wächter
von Harper Lee

Bewertet mit 3 Sternen

INHALT
Jean Louise Finch kommt aus New York zu Besuch in ihre Heimat Maycomb. Die Welt dort scheint erheblich aus den Fugen geraten und die gesellschaftlichen Probleme der 50er-Jahre stellen besonders ihr Verhältnis zu ihrem Vater Atticus infrage. Sie ist aufgewachsen in dem Glauben, dass alle Menschen die gleiche Behandlung und Respekt verdienen. Nun scheinen diese Werte jedoch vergessen und der Rassissmus ist auch in dem verschlafenen Städtchen angekommen.

MEINUNG
Der Roman wurde zeitlich vor Wer die Nachtigall stört verfasst, knüpft inhaltlich allerdings an die Geschichte an. Scout ist erwachsen geworden und ist nun nicht mehr das Kind Scout, sondern die Frau Jean Louise. Ich habe gerne gelesen was aus ihr geworden ist und mich über Anhaltspunkte aus ihrem alten Leben - dem Leben vor New York - gefreut. Viele Charaktere werden nur am Rande erwähnt und tauchen lediglich in Rückblenden auf. Dies liegt wohl vor allem daran, damit der Schwerpunkt auf die Beziehung zwischen Jean Louise und ihrer alten Heimat gelegt werden kann. Diese ist in erster Linie durch Konflikte geprägt.

"Sie war fast in ihn verliebt. Nein, das ist unmöglich, dachte sie. Entweder du bist verliebt, oder du bist es nicht." ~ S. 22

Konflikte mit ihrer konservativen Tante Alexandra, mit ihre Lover Henry und ihrem Vater Atticus. Das Hauptaugenmerk liegt definitiv im Konflikt mit ihrem Vater, denn dieser scheint Rassist geworden zu sein und wirft damit das Weltbild von Jean Louise durcheinander. Ihr Vater war für sie immer ihr Held. Er war stets fürsorglich und kämpfte für die Rechte eines Jedem. Doch plötzlich ist er der Bürgerwehr beigetreten und als Bürgerrechtler scheint er die Rechte der Schwarzen nun hinten anzustellen. Seine gesellschaftspolitische Haltung stellt die Beziehung zu seiner Tochter infrage, welche in kindliche Muster fällt und lieber schmollt und gar nicht versucht das Rätsel aufzuklären. Sie sieht nur ihre Welt und möchte am liebsten gar nichts mehr mit ihrem Vater zu tun haben. Denn Jean Louise bezeichnet sich selbst als farbenblind, denn sie macht keine Unterschiede zwischen schwarz und weiß. Mit einem Rassisten möchte sie nicht verkehren.

"Du bist so ahnungslos wie ein rohes Ei, obwohl du in der großen Stadt lebst." ~ S. 47

Doch dann kommt ihr Onkel Jack ins Bild, welcher Jean Louise wieder zur Vernunft bringt und auf den Boden der Tatsachen zurück. Er ist definitiv mein liebster Charakter und seine Dialoge mit Jean Louise sind mir die liebsten. Seine kautzige und schrullige Art ist immer unglaublich sympathisch. Er zwingt Jean Louise zwar keine Gedanken auf, aber lenkt sie in eine positive Richtung. Sie ist jedoch gezwungen ihre Meinung selbst zu erfassen. Am Ende merkt sie dann, mit tatkräftiger Unterstützung ihres Onkels, dass man nicht jeden Menschen zwingen kann die gleichen Werte zu haben wie man selbst. Wenn man jemanden liebt, muss man auch akzeptieren, wenn die Werte in eine andere Richtung gehen.

"Verrückt, verrückt, total verrückt. Tja, so sind die Finches nun mal. Aber im Unterschied zum Rest der Familie weiß Onkel Jack wenigstens, dass er verrückt ist." ~ S. 233

Mir hat Jean Louise Suche nach ihren eigenen Werten, abgekoppelt von denen ihres Vaters, sehr gut gefallen. Allerdings dümpelte die Geschichte so vor sich hin und die Spannung fehlte. Der Höhepunkt der Geschichte ist der Streit zwischen Jean Louise und ihrem Vater, in dem beide sich aussprechen. Doch sonst passiert nicht viel. Die Geschichte lebt von den Dialogen der Charaktere, welche ich gerne gelesen habe. Man sollte jedoch nicht zu viel erwarten.

FAZIT
Eine wirklich nette Fortsetzung, welche auch eigenständig gelesen werden kann. Leider fehlt ein richtiger Höhepunkt, der den Roman zu etwas ganz Besonderem macht. Von mir gibt es 3 von 5 Punkten, da ich mit Freude jede einzelne Seite gelesen habe, aber dennoch nicht vom Hocker gerissen wurde.