Rezension

Hätte sie doch geschwiegen

Die Frau von Shearwater Island - Magali Robathan

Die Frau von Shearwater Island
von Magali Robathan

Magali Robathans Debütroman "Die Frau von Shearwater Island" spielt auf der titelgebenden Insel vor der Küste Englands. Hier lebt eine kleine Gemeinschaft von Bewohnern, die man an den Händen abzählen kann. Alice Fisher, die 36-jährige Protagonistin des Romans, wohnt nach dem Tod ihrer Eltern allein in einem großen Farmhaus. In den einsamen Wintermonaten ist die kleine Inselgemeinschaft auf sich selbst gestellt. Manchmal sind sie wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten und haben nur wenig Abwechslung, dafür aber viel Zeit, alten Fehden neuen Nährboden zu geben und sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. In den Sommermonaten hingegen erwacht die Insel durch den Tourismus zu neuem Leben. So hat auch der Bestsellerautor Patrick Fox im Sommer Urlaub gemacht und will nun die Herbst- und Wintermonate gleichfalls auf der Insel verbringen. Mit diesem Anliegen tritt er an die Stiftung von Shearwater Island heran, der die Insel gehört und bei der Alice angestellt ist. "Die Insel ist der perfekte Ort für die Arbeit an meinem nächsten Roman; das war mir vom ersten Moment an klar. Die wilde Schönheit der Landschaft, das Gefühl, dass dieser Ort irgendwie in einer einfacheren Zeit verankert ist - all das wird mich inspirieren, das Buch zu schreiben, das allmählich in mir Form annimmt." (S. 7/8) Patrick hofft auch, auf der Insel seine Schreibblockade zu überwinden und bietet der Stiftung eine Spende an. Alice nimmt ihn gerne auf, und die Miete die er zahlt, ist ein Zubrot zu ihrem Verdienst. Patricks Anwesenheit auf der Insel spaltet die Gemeinschaft. Die Männer stehen ihm ablehnend gegenüber, Alice hingegen ist nach dem ersten Abend fasziniert und denkt schon an einen Neubeginn. Doch Patricks Interesse an ihr ist nicht sehr groß. Alice verliebt sich in ihn und beginnt, unter dem Siegel der Verschwiegenheit und um sich wichtig zu tun, die Geheimnisse der Inselbewohner auszuplaudern. Patrick saugt den Klatsch und Tratsch, die wohlgehüteten Geheimnisse und äußerst privaten Dinge sowie die traurigen Wahrheiten der Inselbewohner wie ein Schwamm auf und bringt das Gehörte still und heimlich zu Papier. Seine eigenen Ideen würden niemals ausreichen, einen weiteren Bestseller auf den Markt zu werfen, und dann ist da auch noch seine geschiedene Frau Amira. Sie tritt persönlich nicht in Erscheinung, schwebt aber fast täglich wie eine dunkle Wolke über Alice. Der Verrat, den Patrick an Alice begeht, wiegt nicht so schwer, wie der, den Alice an ihren Nachbarn begeht. "Sie schämte sich ein wenig, weil sie die private Tragödie ihrer Nachbarn dazu missbrauchte, ihren neuen Mieter zu unterhalten, und hatte sich fest vorgenommen, das Ende der Geschichte nicht auch noch auszuplaudern." (S. 75) Ein nicht realisierbares Vorhaben. In Patricks Augen ist die Insel sowieso ein Ort der Lügen und Geheimnisse (S. 299). Eine Inselbewohnerin nennt Alice eine dumme, dumme Gans, was noch untertrieben ist.
Der Roman besticht durch schöne Landschaftsbeschreibungen. Man spürt förmlich die raue und wilde Landschaft und wie die Inselbewohner sich gegen die Naturgewalten auflehnen müssen, um ihr Hab und Gut vor schweren Stürmen und Hochwasser zu beschützen. Was mir nicht so gut gefallen hat, ist, dass die Autorin zu viele Geschichten, Lügen und Geheimnisse in den Roman eingebaut und jede der wenigen Personen eine Leiche im Keller hat. Keiner erscheint ohne Schuld. "Die Frau von Shearwater Island" ist ein Roman über Hass und Liebe, Verrat, Familienfehden, gewalttätige Ehemänner und Mord. Mit der Zeit wurde mir Alice durch ihre unüberlegten und sehr naiven Handlungen immer unsympathischer, und auch der Schluss konnte mich nicht richtig überzeugen. Hier hat die Autorin einfach zu viel gewollt. Mit kleinen Einschränkungen gebe ich eine Leseempfehlung.