Rezension

Ich bin enttäuscht

DAVE -

DAVE
von Raphaela Edelbauer

Bewertet mit 2 Sternen

Syz, der Protagonist der Geschichte, ist ein Programmierer, der im sogenannten Labor lebt und arbeitet. Das Labor ist ein riesiges, von der Außenwelt abgeschottetes, fünfstöckiges Gebäude. Gleichzeitig verkörpert es eine kastenähnliche Gesellschaftsordnung, in der sich Reinigungspersonal und Ärzte in derselben, wenig Ansehen genießenden Ebene wiederfinden. Entwickler, wie Syz, sind gehobene Mittelschicht. Erstrebenswert ist eine Karriere als Wissenschaftler der Dave-Forschung. Nur so ist ein Aufstieg nach ganz oben möglich. Abgerundet wird die Gesellschaftsform durch totale Überwachung.

Syz ist in seinem Tagesgeschäft damit beschäftigt, die KI Dave mit Scripts zu versorgen, die für deren alltägliche Entscheidungen „Nagel in die Wand schlagen“ benötigt werden. Gemeinsam mit hunderten Kollegen haut er wie ein Hacker den ganzen Tag in die Tasten. Dabei sitzen sie dermaßen dicht beisammen, dass der Vergleich mit einer Legebatterie bemüht werden kann. Gegessen wird nur, um das Bewusstsein nicht aufgrund eines Schwächeanfalls zu verlieren. Nach der Arbeit studiert er, schlafen tut er kaum. Sein Ziel ist der Aufstieg.

Neben der laufenden Story ist der Roman wohl eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Gefahren von KI an sich. Leider kam dies nur schwerlich und unkomfortabel bei mir an. Gehemmt wurde mein Vergnügen durch einen Schreibstil, der an das Aussieben von würdigen Student*innen beim Studium erinnert, durch Widersprüchliches sowie schiere Überladung. Raphaela Edelbauer kombiniert Begriffe aus Kunst und Musik mit eigenen Wortschöpfungen und IT-Vokabular in einem bunten, absolut unüblichen Reigen. Die Autorin arbeitet mit extremen Bildern, allen voran dem der durch Überbevölkerung unbewohnbaren Erdoberfläche. Andere Beispiele sind die schlimme Kindheit des Protagonisten und die Beinahe-Katastrophe zu Beginn des Romans. Ein gravierendes Bild nach dem anderen wird einem vor die Füße geworfen und dann nicht mehr weiter verfolgt. So findet in meiner Wahrnehmung kaum eine Entwicklung der Charaktere und der Geschichte selbst statt. Widersprüchlich empfand ich Aussagen zu gefühlt winzigen Speicherbedarfen zur vollständigen Abbildung von komplexen Vorgängen im menschlichen Körper. In anderen Szenen können dann die leistungsfähigsten Computer einfach so herumgetragen werden. Warum lässt man sie nicht stehen und koppelt sie im Netzwerk? Während manches für mich Zukunftsmusik ist, erscheint mir andres bezogen auf heute rückständig. Eine zeitliche Einordnung ist somit unmöglich. Insgesamt leidet das große Ganze. Kaum hat man den Eindruck, sich in diesem Geschehen orientiert zu haben, kommt etwas anderes ins Spiel und die Spur verliert sich wieder. 

Das Lesen war für mich ein stetes Auf und Ab, eine Achterbahn aus Mutmaßungen und immer wieder neuen Theorien, die mir durch den Kopf schwirrten. Den erwähnten Gedankenexperimenten und Memotechniken habe ich mich gern hingegeben, aber einen echten roten Faden konnte ich leider nicht ausmachen.

Ich mag Sciencefictionliteratur bzw. Utopien immer dann sehr gern, wenn der Plot so entwickelt ist, dass ich mir grundsätzlich vorstellen kann, genau so anders als unsere könnte eine Gesellschaft auch sein oder werden. Dabei darf es auch gern extrem sein. Dazu ist allerdings ein gewisses Maß an nachvollziehbarer Herleitung notwendig, was ich hier schmerzlich vermisst habe.  Vielleicht hätte man diesen Roman mit „Willkommen in meinem Memory Palace“ überschreiben sollen, dann hätte ich weniger KI erwartet.