Rezension

Kennen wir die, die wir lieben?

Good as Gone - Amy Gentry

Good as Gone
von Amy Gentry

Bewertet mit 4 Sternen

Vor nunmehr acht Jahren wird die damals dreizehnjährige Julie aus ihrem Kinderzimmer entführt. Die zehnjährige Jane sieht den Fremden und das Messer, mit dem er ihre Schwester bedroht. Sie versteckt sich im Wandschrank und gibt erst geschätzte drei Stunden später durch panische Schreie Alarm. Zu spät für die Eltern Anna Davalos und Tom Whitaker, um einzugreifen. Die polizeiliche Ermittlung kann nichts beschicken. Julie bleibt vermisst und das Leben geht weiter. Jane studiert inzwischen an der University of Washington in Seattle und kommt nur selten heim. Bei einem ersten gemeinsamen Familienessen seit Ewigkeiten, steht auch sie wieder vor der Tür: Julie, einundzwanzig Jahre, zur Frau gereift! Die Freude über ihre Rückkehr ist riesig, währt allerdings nicht lang …

Der Klappentext von GOOD AS GONE erinnert zunächst einmal an FALSCHE SCHWESTERN von CAT CLARKE, welches mir ausnehmend gut gefallen hat. Umso gespannter war ich nun auf die Umsetzung des Themas durch AMY GENTRY. Entsprechend des Untertitels, EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET. EINE FREMDE KEHRT ZURÜCK., taucht auch in ihrer Erzählung ein zuvor entführtes Mädchen nach Jahren wieder auf und auch hier begleiten Unstimmigkeiten das weitere Geschehen.

Die Autorin startet ihr Romandebüt recht stark. Der Prolog spiegelt die Nacht des Verbrechens wider und sorgt für Spannung. Die folgenden sechzehn Kapitel aus der Perspektive der Mutter in erster Person Singular wechseln sich mit Einschüben, mit unterschiedlichen Namen versehen, in dritter Person Singular ab. Der Blickwinkel von Anna Davalos ist von Erinnerungen geprägt. Gedanken an das Leben ohne Julie, an Alkohol, Verdrängung und Einsamkeit belegen, wie diese Zeit aus ihrer Sicht war. Gleichzeitig schreitet die Geschichte in der Gegenwart voran und schwenkt von Freude über Zweifel zu Fakten, die sich nicht leugnen lassen. Parallel hierzu läuft die Zeit in besagten Einschüben rückwärts. Erlebnisse und Erfahrungen der jungen Frau zeichnen einen rauen Lebensweg, bestimmt von dem täglichen Kampf ums Überleben. Zwei Handlungsstränge, die den Leser auf weiten Strecken ebenfalls zweifeln lassen, schlussendlich aber ein gemeinsames Bild ergeben und zur Auflösung der alles bestimmenden Frage führen: Ist es wirklich Julie?

Der Lösungsweg mit den verschiedenen Perspektiven hat mir sehr gut gefallen. Die Spannung ist über die Seiten vielmehr einer Familientragödie gewichen, was mich allerdings nicht gestört hat. Lediglich die Emotionalität hätte etwas lebendiger und damit authentischer erfasst werden können. Die Charaktere wirken doch etwas zu distanziert, unaufgeregt, teils nahezu unbeteiligt. Die Entwicklung rund um den Bösewicht ist etwas kurz gekommen und hat zudem recht skurril geendet. Damit bin ich nicht ganz so glücklich. Dennoch hat mich Julie als fragwürdige Figur schlussendlich mit ihrer wahren Identität überrascht.

GOOD AS GONE – EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET. EINE FREMDE KEHRT ZURÜCK. erscheint als hochwertiges Paperback bei C. Bertelsmann. Das Covermotiv ist recht minimalistisch, setzt dafür umso wirkungsvoller auf Kontraste. Die Silhouette eines Mädchens im Schein des Lichts passt sogar zur Geschichte. Papier, Satz und Druck sind einwandfrei.

Fazit:

AMY GENTRY erzählt eine vertrackte Familientragödie, die zeitweise spannend ist und auf jeden Fall unterhält. An Emotionen und Auflösung ließe sich arbeiten, nichtsdestotrotz ist GOOD AS GONE als Romandebüt durchaus gelungen. Bleibt die Frage: Kennen wir die, die wir lieben?