Rezension

Krieg und Welt.

Krieg und Frieden - Lew Tolstoi

Krieg und Frieden
von Lew Tolstoi

Bewertet mit 5 Sternen

Der Prototyp einer Reality Soap.

Pierre Besuchow. Er ist jung und dumm möchte manch einer sagen. Vor allem aber steinreich. Trotzdem er eigentlich illegitimer Sohn eines in der Gesellschaft angesehenen Herrn ist, wird kurz vor dessen Tod alles geregelt und Pierre wird Erbe. Er fühlt sich wohl in der Welt der Reichen und Schönen, die schönen Künste ziehen ihn an, er isst gerne, er amüsiert sich gerne, betrunkene Ausflüge zu den Zigeunern scheinen ihm lieber als Soireen in der „guten“ Gesellschaft. Er ist anders als alle, besonders als sein guter Freund Andrej Bolkonski, der von Schmermut und Nachdenklichkeit getrieben wird. Er hat nichts mit Intrigen am Hut, durchschaut diese aber auch nicht, wenn Familie Kuragin sie wieder spinnt. Und die kleine unbeschwerte Natascha Rostowa, die sich wie ein Blatt im Wind treiben lässt, sich mal hier mal dort verliebt und verliert, deren größtes Vergnügen der Gesang ist. Das alles ist 1805. Doch Napoleon ist noch nicht fertig mit seiner Idee eines anderen Europas und so bleibt auch die St. Petersburger High Society nicht vom Krieg verschont. Aber auch das geht vorüber, es werden Verträge und Frieden geschlossen. Das Leben geht weiter, man ist älter und reifer, hat andere Interessen. Doch auch das ist nur ein Zwischenspiel, denn schon bald wird Moskau brennen und Napoleon klopft an der Tür.

Es fällt mir unheimlich schwer, dieses Buch angemessen zu rezensieren. Es gab Phasen, da konnte ich es nicht aus der Hand legen, ich musste und musste weiterlesen, was alles zwischen 1805 und 1820 geschieht. Es gab aber auch Phasen, da hätte ich das Buch am liebsten (für immer) liegen gelassen. Man darf nicht mit der Idee, einen Roman zu lesen hieran gehen, denn es ist keiner. Zwischen all den Sequenzen, in denen uns das Leben der diversen Familien, die alle durch Pierre verbunden sind, im Allgemeinen und das Schicksal der einzelnen Protagonisten im Speziellen nahegebracht wird, geht es auch immer wieder um Krieg und Politik. Damit hat sich Lew Tolstoi auch intensivhistorisch befasst. Es gibt Kapitel, die sich ausschließlich um Kampfstrategien oder diverse politische Abhandlungen drehen, die sehr ausführlich behandelt, die häufig wiederholt werden. Das kann schon mal aufs Gemüt schlagen, wenn man gerade eigentlich aus einem andern Kapitel kommt oder sich zu sehr auf das Schicksal eines der Protagonisten stürzt, dieser dann seitenlang nicht auftaucht. Alles in allem ist es ein sehr gutes Buch, einzig das nicht abgeschlossene Ende stört mich. Auch hätte ich mir an mancher Stelle gewünscht, eine Ausgabe zu lesen, die um eben diese strategisch politischen Sequenzen gekürzt worden ist, doch wäre das nicht Sinn der Sache. Häufig habe ich mich bei dem Gedanken ertappt „Nicht schon wieder!“, oder „Das hatten wir doch schon zig mal!“. Aber plötzlich steht in einem solch drögen Abschnitt etwas so bissiges, so philosophisches, so ironisches, so lakonisches, so schönes, dass es im Endeffekt die Mühe wert war, sich durch all die Seiten zu quälen. Denn ja, ab und an war es das für mich, eine Qual. An anderer Stelle, wie gesagt, pures Vergnügen. Wir werden Zeuge von 15 Jahren, von Charakterentwicklungen noch und nöcher. So wurde aus einem Napoleon – Sympathisanten „plötzlich“ (in einem Zeitraum von Jahren fällt es schwer von „plötzlich“ zu reden) ein potentieller Attentäter. Und wieso? Weil sich Meinungen und Lebenseinstellungen nun mal ändern können und dürfen. Und der Krieg Menschen erst recht verändert. Wir bekommen all diese Entwicklungen auf dem Silbertablett präsentiert. Und bei einem Werk dieser Länge, wäre es irgendwie auch seltsam, wenn es keine Abschnitte gäbe, die einem das Herz nicht schneller schlagen lassen. Alles in Allem kann ich diesem Buch nur 5 Sterne geben. Auch wenn es nicht zu meinen Lieblingsbüchern aufsteigen wird. Ich bin froh, es gelesen zu haben. Und ich bin froh, es nicht alleine gelesen zu haben, denn so hätte ich früher oder später sicherlich den Mut verloren. Nicht aber wegen der angeblich zu vielen Protagonisten und Namen, so viele waren es gar nicht, die hat man schnell drin. Also danke fornika, heike_e, Karithana, marsupij und s.fleischer für das schöne, gemeinsame kufen.

Kommentare

DinDin kommentierte am 04. Dezember 2014 um 13:23

Eine schöne Rezension, die mir Mut macht mich auch mal an das Buch zu wagen ;)

Fornika kommentierte am 04. Dezember 2014 um 13:24

Ausgezeichnete Rezension. Ich werde keine schreiben, würde hier aber gerne unter-schreiben, wenn ich darf.

Es war mir eine Ehre!

JA2085 kommentierte am 04. Dezember 2014 um 13:31

Darfst du.

Ich musste das alles noch mal rekapitulieren und mir von der Seele reden!

Karithana kommentierte am 04. Dezember 2014 um 19:11

Bravo! Toll gemacht. 

Ich überlege, ob ich nicht auch einfach nur unterschreiben soll :-) Mal sehen...

 

heike_e kommentierte am 04. Dezember 2014 um 20:07

Auch ich werde nur unterschreiben, so toll kann ich das nicht zusammenfassen.

marsupij kommentierte am 05. Dezember 2014 um 18:15

Wow, ganz große Klasse! Ich unterschreibe auch und schaue, ob ich am Wochenende noch eine Rezension schreiben werde, aber so gut werde ich das nicht schaffen.

JA2085 kommentierte am 05. Dezember 2014 um 22:10

Danke, danke! Ich werde ja ganz rot! :)