Leben unter der Strahlung
Bewertet mit 4.5 Sternen
Ascheinend braucht man nicht viel, um ein Buch zu schreiben, das jeden entzückt: Einen ansprechenden Protagonisten und eine kleine, aber originelle Handlung, dazu Lokalkolorit und eine Handvoll kauzige oder liebenswerte Nebendarsteller. Die Zutaten also, aus denen Alina Bronsky ihren kurzen Roman entworfen hat.
Baba Dunja ist über 80, und Bronsky gibt ihr die Stimme einer energischen Frau, die sich in ihrem Alltag, Familie und Beruf durchgesetzt hat und jetzt immer noch allein ihrem eigenen Kopf folgt und es genießt, niemandem mehr Rechenschaft ablegen zu müssen.
Gemeinsam mit anderen Alten hat sie ihr Heimatdorf Tschernowo, das nach dem Reaktor-Unfall von 1986 am Rand des Todesstreifens liegt, wieder in Beschlag genommen. Sie alle haben ihr Leben gelebt, und die Strahlung kann ihnen nicht mehr viel Lebenszeit rauben, so dass sie sich aus ihren Gärten und dem, was der Rest der Obstbäume und –sträucher hergibt, ernähren.
Dennoch spielen sie die Gefahr der Strahlung nicht herunter, denn ein gesundes Kind in ihrem Dorf – das können sie dem Kind zuliebe nicht dulden!
Wer den GAU von 1986 erlebt hat, erinnert sich an die Ungewissheit, die Wut und die Angst, v.a. wer schwanger war, ein Baby oder Kleinkind hatte, wusste nicht ein noch aus zwischen den widersprüchlichen Aussagen von Verantwortlichen, Wissenschaftlern und Politikern in den Medien, wo man zwischen Beschwichtigungen und Panikmache hin- und hergezerrt wurde.
Bronskys Roman wirkt nicht besänftigend, als wolle sie mit den 80-jährigen Überlebenden die Ungefährlichkeit nuklearer Strahlung und der damaligen Katastrophe beweisen. Weil ihre Personen allesamt Individualisten mit je eigener Motivation zur Rückkehr sind, kommen sie als Beispiel für alle Menschen nicht in Frage.
„Baba Dunjas letzte Liebe“ gehört zu den Wohlfühlbüchern, in denen die Figuren es dem Leser heimelig machen, weil man ab dem ersten Satz an ihrer Seite ist und bis zum – leider allzu schnellen – Ende bei ihnen bleibt.