Rezension

Lüge, Lüge

Lila, Lila - Martin Suter

Lila, Lila
von Martin Suter

„Lila, Lila“ ist mein erster Roman von Martin Suter gewesen. Bookstagram hat mich influenced, nachdem ich den Film vor Jahren beim Rumzappen entdeckt und irgendwie in Erinnerung behalten hatte, dass mir der Flair gefallen hat. Ja, und Daniel Brühl. Der auch natürlich.

Nachdem ich den Roman beendet hatte, habe ich mir deshalb auch den Film noch einmal angesehen. Wundert euch also nicht, wenn es den ein oder anderen Querverweis in der Rezension gibt. Ich habe nämlich an Buch und Film gemerkt, wie sehr sich meine Wahrnehmung in der Vergangenheit verändert hat. 

Inhalt: 

David Kern arbeitet als Kellner im „Esquina“, einer urigen Kneipe mit vielen Stammgästen. Was er sonst noch mit seinem Leben anfangen möchte, weiß David nicht. Er ist ein unsicherer Typ, stolpert ein wenig unbeholfen durch’s Leben und fühlt sich oft von einem ganz bestimmten Stammgast herabgesetzt. Eines Abends taucht Marie im Esquina auf. Marie ist schön und sie liebt Literatur. David ist sofort verzaubert und gleichermaßen entsetzt, als eben dieser Stammgast es schafft, Marie mit seinem literarischen Sachverstand für sich zu gewinnen. Als er durch Zufall in der Schublade eines alten Nachtschranks, den er einem Trödelhändler abgekauft hat, das Schreibmaschinen geschriebene Manuskript eines Romans findet, der ihn beim Lesen zu Tränen rührt, erkennt David seine Chance. Er gibt das Manuskript Marie und tut so als wäre er selbst der Autor. Die Lüge gerät schnell außer Kontrolle, denn Marie ist so begeistert, dass sie die Geschichte, die anfangs noch „Sophie, Sophie“ und später dann „Lila, Lila“ heißt, an einen Verlag sendet. Schnell verliebt sich nicht nur Marie in David, sondern die ganze Literaturszene. Aus ihm wird jemand, der er gar nicht ist - ein Bestsellerautor. Aber Lügen haben kurze Beine, nicht?

Meine Meinung:

In „Lila, Lila“ geht es um den Verlust von Identität. Wer ist David Kern eigentlich? Nicht mehr der Kellner, aber auch nicht der Bestsellerautor. Und erst recht nicht der Mann, in den sich Marie verliebt, weil es diesen Mann nämlich gar nicht gibt. 

Was ich so spannend fand: Als ich mir den Film damals angesehen habe, war das, was David tut, für mich eine kleine Lüge, die unverhofft außer Kontrolle gerät. Als ich nun den Roman gelesen habe, war meine Wahrnehmung ganz anders. Auf einmal kam mir Davids Handeln unentschuldbar vor. Ein riesiger Betrug. An Marie, am Verlag, der Presse, den Leser*innen. Es hätte früh in der Geschichte unzählige Gelegenheiten gegeben, die Lüge aufzuklären. David hätte sie aufklären müssen. Aber er war zu schwach dazu. Und diese Schwäche hat ihn für mich zum Anti-Helden gemacht, für den ich selten Sympathie, meistens höchstens Mitleid empfunden habe. Auch seine Liebe zu Marie fand ich jetzt nicht mehr süß, sondern obsessiv und befremdlich. Er ist so besessen davon sie für sich zu gewinnen und bei sich zu behalten, dass er mit allen Mitteln sein Lügengerüst aufrecht erhalten will, um die Beziehung zu retten, die er auf dieses Fundament gebaut hat. Nicht nur einmal wollte ich Marie zu rufen, dass sie sich besser schnell aus dem Staub machen soll. Aber auch sie war mir beim Lesen fremd und eher unsympathisch, weil sie sich so sehr von „dem Autor David Kern“ angezogen fühlt. Inwieweit auch der Mensch für sie interessant ist, erfährt man gar nicht so richtig.

Ich mochte Martins Suters Schreibstil. Diesen Early-Zweitausender-Flair zwischen Nachtleben und Literaturbetrieb. Die Einblicke in das Verlagsgeschäft waren zudem sehr interessant. Dafür kratzt die Geschichte auf der Gefühlsebene nur an der Oberfläche. David und Marie als Paar konnte ich nicht wirklich spüren. Der Text ist mehr damit beschäftigt, Davids Betrug weichzuspülen, indem manche Szenen und Figuren überzeichnet dargestellt werden. Die Geschichte hat mich nicht nur zum Kopfschütteln, sondern auch zum Grinsen gebracht. 

Den Verlauf der Handlung fand ich trotzdem spannend. Ich habe das Buch in sehr kurzer Zeit gelesen und wollte unbedingt wissen, welches Schicksal David am Ende ereilt. Zuerst findet er sich immer mehr in seiner neuen Rolle als Autor ein, verschmilzt schon fast mit ihr, bis dann etwas geschieht, dass ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Hier hätte ich mir aber mehr Konsequenz vom Buch gewünscht. Was das Ende betrifft bin ich nach wie vor unschlüssig. Einerseits war ich froh, andererseits hat mir etwas Wesentliches gefehlt, wieder andererseits fand ich alles sehr rund und wenig vorhersehbar.

Fazit:

„Lila, Lila“ ist ein sehr besonderer Roman mit einer ganz eigenen Stimmung. Er wird mir definitiv noch lange im Gedächtnis bleiben und ich bin froh mich nochmal mit der Geschichte auseinandergesetzt zu haben. Auch weil ich dadurch gemerkt, habe, wie sich mein eigenes Verständnis von Moral im Laufe der Zeit verändert hat: Was man im Namen der Liebe tun darf, was man entschuldigen kann und was nicht.