Rezension

*+* Ruvens Leben *+*

Das letzte Land - Svenja Leiber

Das letzte Land
von Svenja Leiber

Svenja Leiber: „Das letzte Land“
 

Beschreibung:
Ein Roman über den Klang der Zeit, der ein ganzes Künstlerleben umspannt und fast das gesamte 20. Jahrhundert in Deutschland

 »Wer Sturm sät, erntet keine Sonne.«

Anfang des 20. Jahrhunderts im deutschen Norden. Ruven Preuk, jüngster Sohn des Stellmachers, verfügt schon als Kind über eine außerordentliche musikalische Begabung: Er sieht Töne, und auf seiner Geige spielt er sonderbare Melodien. Das bringt ihm auf dem Dorf, wo das Leben hart und einfach ist, nicht nur Bewunderung ein. Schließlich erkennt auch der alte Preuk, dass mit seinem Sohn nichts anzufangen ist. Verzweifelt versucht er ihm die Töne aus dem Leib zu prügeln. Dann lässt er ihn ziehen.

In der Stadt lernt Ruven beim Juden Goldbaum, in dessen Enkelin Rahel er sich ebenso verliebt wie in den Glauben an eine strahlende Karriere. Kunst bedeutet Freiheit und Anerkennung, aber die Nazis legen schon die Gewehre an. Als sein Durchbruch unmittelbar bevorsteht, reißt der Zweite Weltkrieg Deutschland in den Abgrund. Und Ruven muss erneut seinen Weg finden, am Ende aller Melodien.

Mit ihrem neuen Buch legt Svenja Leiber einen kapitalen Bildungsroman vor: Während um ihn herum ein ganzes Land in sich zusammenfällt, folgt ein außergewöhnlicher Musiker gegen alle Widerstände seiner Begabung.
Quelle: http://www.suhrkamp.de/buecher/das_letzte_land-svenja_leiber_42414.html

 

Das Cover:
Es ist sehr ansprechend gestaltet. Ein blätterloser Strauch, über dem Vögel kreisen, nimmt einen großen Teil der Fläche ein. Der Hintergrund ist sandfarben, er ist ein wenig schattiert, weist auch Risse auf. Das alles wirkt ein bisschen deprimierend und hoffnungslos auf mich. Diese Stimmung wird allerdings ein wenig durch den Aufdruck des Titels in orangeroten Lettern aufgehoben, lässt so etwas wie einen Keim der Hoffnung entstehen. Ich finde das Cover sehr gelungen, es greift die verschiedenen Stimmungen, die ich während des Lesens oft spürte, sehr gut auf.

 

Meine Meinung:
„Das letzte Land“ ist sehr individuell, was den Inhalt sowie dessen Umsetzung betrifft. Ein Geiger, der Geräusche als Farben wahrnimmt, ist die eigentliche Hauptperson des Romans. Von 1911 bis 1975 begleitet der Leser Ruven, erhält aber auch zum Schluss hin tiefe Einblicke in das Leben seiner Tochter Marie.

Ruven ist der Sohn eines Stellmachers und er schlägt ein wenig aus der Art, denn er geht nicht nach seinem Vater. Sein Herz schlägt für die Musik, er kann Töne sehen.
Vater Nils lässt Ruven gewähren und dank seines Talentes wechselt der Junge von einem Lehrer zum nächsten, um in seinen Geigenkünsten fortschreiten zu können.

Mit dieser zunehmenden Perfektionierung ändert sich Ruven. Ich hatte den Eindruck, dass seine Entwicklung noch dadurch verschärft wird, dass er die Frau, die er liebte, wegen unüberwindbar scheinender Hindernisse nicht heiraten konnte.
Sein Leben besteht zunehmend aus der Musik und er verliert immer mehr den Zugang zum Leben. Selbst als er später geheiratet hatte, war es ihm nicht möglich, seiner Familie, vor allem seiner Tochter Marie, gerecht zu werden.
Einerseits konnte ich ihn wegen seines mangelnden Bezugs zur Realität überhaupt nicht verstehen. Er hat die menschlichen Chancen, vor allem in Form seiner Tochter, nicht nur nicht genutzt. Aus Unfähigkeit hat er seiner Tochter das Leben auch unnötig schwer gemacht. Meine Sympathien galten allein Marie und nicht ihm. Andererseits tat er mir schon sehr leid. Vielleicht hätten andere Umstände im Leben ihn zu etwas anderem gemacht und die Fokussierung auf sein Geigenspiel und der „Abschied vom echten Leben“ wäre nicht so extrem ausgefallen.

Eine der schlimmsten Stellen für mich war, als Ruven kriegsverletzt zurück in die Heimat kam und er entsetzt feststellte, dass er die Farben der Töne nicht mehr sehen konnte. Dieser eine Satz setzte mehr in mir in Gang als in manchen anderen Büchern seitenweise detaillierte Darstellungen über das Kriegsgeschehen. Ganz wunderbar dazu passt dann auch der von einer Protagonistin geäußerte, erschütternde Satz „Krieg kann man nicht erzählen.“

„Das letzte Land“ stimmte mich sehr oft nachdenklich und es ging mir beim Lesen bei weitem nicht so locker von der Hand wie viele andere Bücher.
Erschwerend machte dies zusätzlich die – stimmig zu Ruvens Gefühlslage und Verbissenheit im Geigenspiel – immer knapper und nüchterner werdende Erzählweise ....bis kurz vor Schluss. Da wendet sich einiges und viele Kreise schließen sich.

Die Autorin beschreibt nicht sehr ausschweifend. Sie schreibt eher sachlich und beschreibend, würzt aber an einigen Stellen – so unvorhersehbar wie das Leben eben ist – mit einer teils makabren Prise Humor. Vieles wird nur angerissen und angedeutet. An manchen Stellen war mir dies zu wenig und ich konnte weder dem Geschehen noch den Gedankengängen richtig folgen. So fehlte mir manchmal das I-Tüpfelchen, weshalb mein Kopfkino hin und wieder ins Stocken geriet.
Sehr gut gefallen haben mir sprachlichen Highlights, einige Sätze wie vom anderen Stern. Wenige Wörter, einfache Sätze eigentlich, die dennoch mehr offenbaren als seitenweise Beschreibungen. Formulierungen wie „Wir spüren nichts mehr. Es muss alles immer stärker werden, intensiver, salziger.“ oder „Ihr Händedruck ist kurz, aber Ruven ist, als gehe etwas von ihr in ihn über.“, um nur 2 Beispiele zu nennen, ließen mein Literatur-Herz jubeln.

Was ebenfalls sehr gut gelungen ist, ist die Übertragung der Gefühlslage Ruvens auf mich als Leser. So fragte ich mich z.B. an einer Stelle, worauf dies jetzt hinauslaufen soll. Kurz darauf fragt Ruven seine Tochter, wo es jetzt mit ihnen hinginge.
An anderer Stelle, als mir das Buch so gar nicht recht von der Hand gehen wollte, „hörte die Gesellschaft nicht auf, ihn zu ermüden.“

Der Roman schien mir oft sehr konstruiert, denn die Personen kamen und gingen, fanden Erwähnung, tauchten manchmal auch wieder auf. Dieses sehr Zufällige gefiel mir zwar eher nicht. Es ist aber notwendig, um das Buch so enden zu lassen, wie es das tut. Vor allem in Bezug auf Ruvens Läuterung, die er zum Ende hin durchläuft und versucht, „innerlich aufzuräumen“.

Mein Fazit:
Dieser Roman hat mir gefallen, allerdings holperte ich an einigen Stellen und konnte der Sprachform nicht immer folgen, was es mir gelegentlich erschwerte, den Sinn des Geschriebenen zu erfassen. Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

Infos zum Buch:
„Das letzte Land“ von Svenja Leiber ist am 10.03.2014 unter der ISBN-Nr. 978-3-518-42414-8 im Suhrkamp/ Insel-Verlag erschienen. Es ist gebunden, umfasst 320 Seiten und ist auch als eBook erhältlich. (Quelle: http://www.suhrkamp.de/buecher/das_letzte_land-svenja_leiber_42414.html)

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