Rezension

Teufelskreis im Getto

Mit zwanzig hat man kein Kleid für eine Beerdigung - Valentina D'Urbano

Mit zwanzig hat man kein Kleid für eine Beerdigung
von Valentina D'Urbano

Bewertet mit 5 Sternen

In Befolgung des sehr schönen Vorwortes „Auch die Ärmsten der Armen brauchen eine Geschichte“ lässt die italienische Autorin Valentina D’Urbano ihre Protagonistin Beatrice die kurze Lebens- und Leidensgeschichte ihres Nachbarn Alfredo erzählen. Beide verleben ihre Kindheit und Jugend in den 70er und 80er Jahren in einem sozialen Brennpunktviertel (La Fortezza) einer namentlich nicht benannten italienischen Stadt. Seine Bewohner sind geprägt durch Alkoholismus, Drogenkonsum, Gewalttätigkeiten, Kriminalität, unzureichende Schulbildung, Arbeitslosigkeit. Mit sieben Jahren tritt Alfredo in das Leben der ein Jahr älteren Bea, als er von seinem trunksüchtigen Vater fast zu Tode geprügelt wird. Beas Familie nimmt ihn wie ein eigenes Kind auf. Sie und Alfredo sind fortan „die Zwillinge“. Sie streiten und schlagen sich, können aber nicht ohne einander. Als junge Erwachsene werden sie zu Liebenden, deren Liebe aber durch die äußeren Umstände ein jähes Ende findet …

 

 

Valentina D’Urbano macht in authentischer Weise auf sozial Benachteiligte aufmerksam. Das ist ihr so gut gelungen, weil sie weiß, wovon sie schreibt. Denn selbst stammt sie aus Rom und wuchs in einem Viertel auf, das dem im Roman beschriebenen sehr ähnlich ist, wie sich den Informationen in der rückseitigen Buchklappe entnehmen lässt.

 

Obwohl in dem Zeitraum 1974 bis 1987 angesiedelt, hat die Geschichte auch einen aktuellen Bezug und ist dadurch umso interessanter. Soziale Brennpunkte wie „La Fortezza“ gibt es nach wie vor. Zu denken ist etwa an die Pariser Banlieus, wo es gerade in jüngerer Vergangenheit zu sozialen Unruhen kam.

 

In gewisser Weise erinnert mich der Roman an Elvis Presleys bekannten Song „In the Ghetto“, der den kurzen Lebensweg eines Kindes behandelt, das in einem Ghetto in Chicago zur Welt kommt, auf die schiefe Bahn gerät und dessen junges Leben ein gewaltsames Ende findet. Alfredos Lebensweg weist Parallelen auf.

 

Auch um eine Liebesgeschichte handelt es sich. Allerdings darf der Leser keine Romantik erwarten. Zwischen Bea und Alfredo besteht eher eine Hassliebe, begleitet von gegenseitiger Abhängigkeit, Besitzansprüchen, Verlustängsten. Bea, die eindeutig Stärkere der Beiden, erkennt ihre Liebe zu Alfredo überhaupt erst, als es zu spät ist.

 

Das Buch ist traurig und fesselnd zugleich. In formaler Hinsicht ist zu sagen, dass sich Sprache und Aufbau den Romanfiguren gut anpassen. Dialoge sind umgangssprachlich gehalten, Wortbestandteile werden verschluckt. Die Chronologie der Ereignisse wird nicht immer eingehalten, es gibt Zeitsprünge.

 

Wer Interesse an außergewöhnlichen Romanen hat, ist mit diesem Buch bestens beraten.