Rezension

Von Placebo bis Prärie

Wellness -

Wellness
von Nathan Hill

Bewertet mit 5 Sternen

Bei Jack und Elisabeth scheint es Liebe auf den ersten Blick zu sein. Obwohl sie aus komplett unterschiedlichen Verhältnissen kommen – sie aus reichem Hause mit eingetrichtertem Perfektionismus und cholerischem Vater, er aus der bäuerlichen Abgeschiedenheit der Prärie, ohne Geld, dafür mit stets unzufriedener Mutter - scheinen sie ineinander die große Liebe gefunden zu haben. Beide sind zum studieren nach Chicago gekommen, beide vor ihrem erdrückenden Elternhaus geflohen und beide entdecken nun die aufblühende Kunstszene und Subkultur Chicagos.

Doch nun sind bald 20 Jahre vergangen, das Chicago ihrer Jugend gibt es nicht mehr und auch die Liebe scheint sich irgendwie verflüchtigt zu haben. Zwischen Kindererziehung, Herausforderungen im Job, falschen Freunden, Geldsorgen und Alltag kann man sich schon mal verlieren. Neben der mal witzigen, mal frustrierenden Analyse des Innenlebens der beiden Hauptfiguren schlägt Hill den Bogen zu psychologischen Themen von Kindererziehung bis Placebos, zum Facebook-Algorithmus und Verschwörungstheorien, zu Kunst, offenen Beziehungen und einem Loblied auf die unterschätzte amerikanische Prärie. Ich mochte diese Ausflüge gerne und fand Hills Herangehensweise sehr unterhaltsam, – zumal die Themen immer direkt mit Jacks oder Elisabeths Leben verbunden waren – wer aber wer kein Freund von dieser Art Abschweifungen ist, könnte hier mitunter etwas ungeduldig werden.

Über Jack und Elisabeth könnte man sich manchmal die Haare raufen, dann erfüllen sie einen wieder mit Mitleid und Sympathie. Besonders die Geschichten aus ihrer jeweiligen Kindheit sind bedrückend, dafür lässt sich über manche Eskapade ihres Erwachsenenlebens gut schmunzeln. Hill zeigt auf subtile Art, dass alles zwei Seiten hat und dass man sogar mit sich selbst nicht immer ganz ehrlich ist.

Mich hat „Wellness“ insgesamt sehr gut unterhalten! Es war treffend und mitreißend, mal wunderbar absurd, mal lebensnah, einfühlsam und bedrückend. Eine lebendige Geschichte, ausschweifend aber nicht geschwätzig, bei der mir besonders die Entwicklung Jacks und Elisabeths sehr gefallen hat. Ein toller Start ins Lesejahr 2024!