Rezension

Wer kann über den Wert eines Menschenlebens bestimmen?

Unwert - Der Weg des Kirschmädchens -

Unwert - Der Weg des Kirschmädchens
von Yasmin Alinaghi

Bewertet mit 5 Sternen

1935 Rheingau. Auf dem Bauernhof ihres Onkel Alwin im hessischen Dorf Gudenshain wächst die 13-jährigen Käthe Klepper auf, deren Mutter bereits tot ist und der Vater in einer Heilanstalt aufgrund seiner Alkoholsucht. Unter dem Vater ihrer Tante Elsa muss sie hart schuften, seit ihr Onkel einberufen wurde. Als der Erntehelfer Zores immer wieder auf dem Hof aushilft, nutzt er gleichzeitig die Gelegenheit, sich immer wieder an Käthe zu vergreifen. Die arme Käthe wird zum Spielball für den Vater ihrer Schwägerin, der unbedingt den Hof an sich bringen will, und gerät über einen fanatischen Amtsarzt ins Visier der Nazis mit ihren dubiosen Ideologien, die sie in einem Gerichtsprozess sogar zur Zwangssterilisation verurteilen…

Yasmin Alinaghi hat mit „Unwert-Der Weg des Kirschmädchens“ einen sehr eindrucksvollen und berührenden Roman vorgelegt, der auf wahren Begebenheiten beruht und den Leser nicht nur vor Augen hält, was für unsägliche Gräuel während des Nazi-Regimes möglich waren, sondern mit Käthe auch ein stellvertretendes Schicksal darstellt, welches viele Frauen zur damaligen Zeit ereilte. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil katapultiert den Leser direkt ins vergangene Jahrhundert in Deutschlands düsterste Epoche. Dort trifft er für die Zeit von 1935 bis 1936 auf die junge Käthe, die zwar noch ein Kind ist, aber schuften muss wie eine Erwachsene, die Schule nur kurz besucht hat und dann noch den Widerlichkeiten eines Knechts ausgesetzt ist, deren sie sich nicht erwehren kann. Sie steht bei diesem Unrecht ganz allein da, hat niemanden der sich um sie kümmert und sie unterstützt, sondern wird anstatt des schuldigen Knechts sogar vor ein Gericht gestellt, dabei ist sie die Geschändete. Während die fanatischen Nazi-Anhänger an ihr ein Exempel statuieren wollen, gibt es auch Menschen mit Herz und Verstand, die Käthe vor der ihr zugedachten Strafe bewahren wollen. Die Autorin hat gründlich recherchiert und lässt mit ihren Schilderungen über die Rassengesetze oder die Experimente des grausamen Dr. Trabert dem Leser die Gänsehaut über den Rücken laufen und das Blut in den Adern gefrieren. Sehr gelungen ist auch der Mix aus eingefügten Briefen, Auszügen aus Patientenakten und diversen Texten, die die Geschichte noch mehr untermauern. Bei all den schrecklich-detailliert beschriebenen Grausamkeiten ist es der Autorin gelungen, sowohl den Leser an die Seiten zu fesseln als auch die menschlichen Facetten stark herauszustellen.

Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und mit Leben versehen. Sie können mit glaubwürdigen menschlichen Zügen überzeugen und den Leser mit in die Geschichte hineinziehen. Käthe ist ein liebenswertes, fleißiges Mädchen, das aufgrund mangelnder Schulbildung etwas einfältig wirkt. Ihr Schicksal geht ans Herz und man möchte sie einfach beschützen. Dr. Karges ist ein Mann, der zwischen den Stühlen sitzt. Einerseits arbeitet er für die braune Brut, andererseits besitzt er Menschlichkeit und ein Gewissen. Dr. Trabert ist der Teufel in Person, während die Zwillinge mit ihren Einlagen immer mal wieder die Stimmung der Geschichte auflockerten.

Mit „Unwert-Der Weg des Kirschmädchens“ ist der Autorin ein packender Roman gelungen, der den Leser mit einer perfekten Mischung aus Realität und Fiktion durch eine wahre Achterbahn der Gefühle jagt. Sowohl menschliche Abgründe als auch Warmherzigkeit und Hilfsbereitschaft werden hier sehr deutlich hervorgehoben und appellieren an das Gewissen des Lesers. Absolute Leseempfehlung für eine tiefgründige und ergreifende Geschichte!