Rezension

Episch wie jeder Fulvio bislang

Das Mädchen, das den Himmel berührte - Luca Di Fulvio

Das Mädchen, das den Himmel berührte
von Luca Di Fulvio

Bewertet mit 4.5 Sternen

Worum es geht: 

Mercurio ist ein Taugenichts der als Gauner in Rom sein Unwesen treibt. Guiditta ist Jüdin und zusammen mit ihrem Vater unterwegs nach Venedig. Beide treffen unterwegs aufeinander, verlieben und verlieren sich. Während Guiditta und ihr Vater versuchen in Venedig ihr Leben aufzubauen, versucht Mercucio sie wiederzufinden und seinen grossen Traum zu verwirklichen: Frei Sein. 

Meine Meinung: 
Ich habe alle Bücher von Di Fulvio, nachdem ich so begeistert von "Der Junge der Träume schenkte" war. Gelesen habe ich seit dem Buch allerdings keines mehr. Zu dick, zu zeitaufwendig, zu historisch. Ich weiß theoretisch, dass es mir gut gefallen wird, wenn ich mich erstmal zum Lesen aufgerafft kriege. Aber ach die Motivation... 900 Seiten, Leute! Daher danke ich Nordbreze ganz herzlich für die Idee letzten Sommers mit dem #Dickebüchercamp, eine Initiative die mich dazu brachte 2018 mehrere Bücher mit über 500 Seiten zu lesen. Hier dann auch ein kleines Geständnis: Ich hab es nicht gelesen, ich hab sie alle gehört. 
Nach längerer Überlegung wie ich das Projekt angehen könnte, kam mir die Idee mit dem Hörbuch. Wieviel Zeit verliert man Unterwegs in der man nicht lesen kann?! Viel zu viel! 29 Stunden wie es bei mir der Fall war, in 3 Wochen. So lange brauchte ich dafür, und ich hörte fast ausschliesslich auf dem Weg zur Arbeit.
Dank Audible und seiner Funktion die Lesegeschwindigkeit aufdrehen zu können, konnte ich es auch tatsählich in einer mir angepassten Schnelligkeit lesen.
Sascha Rotermund liest sehr eindringlich, wobei ich seine sprachliche Anpassung an Isacco anfangs recht schwer fand. Ich mag es nicht wenn es hörbar feucht geredet wird, selbst wenn es zum Charakter gehört. Ansonsten kann man dem Sprecher nur gratulieren. 
Ich bin immer wieder überrascht wie brutal Di Fulvio geschichten sind. Ich erinner mich, dass ich auch beim Debut erschrocken bin. Vergewaltigungen, Morde, dahinsiechende Leichen. Vielleicht ist es das Cover, welches mich immer an etwas mehr erfreulicheres denken lässt. Aber Rom und Venedig im 15. Jahrhundert werden unverschönert dargestellt. Frauen werden vergewaltigt, Männer aufgeschlitzt, Huren sterben qualvoll an Krankheiten. Die Judenbekämpfung beginnt. Guiditta und ihr Vater werden gezwungen im Ghetto zu leben, jeder Jude muss gelbe Mützen tragen. 
Wie Armut jeden kleinkriegt, und Gefangenschaft erfinderisch macht zeigt uns di Fulvio in einer herrlich auf den Punkt kommenden Sprache. 
Man ist sofort in diese Welt von ihm hineinversetzt. Die meiste Zeit sass ich mit vor Ekel verzehrtem Gesicht im Bus aber niemals kam mir der Gedanke abzubrechen. Schnell merkt jeder, der diese Geschichte zur Hand nimmt: Das ist was besonderes. 
Kein kurzweiliges Buch, schon allein Aufgrund des Umfanges, sondern nachhaltig. Es lud mich dazu ein mich zu informieren, Themen nachzuschlagen bei denen ich mich fragte: "War das echt so?" 
Die Liebesgeschichte war für mich lange nicht von Bedeutung. Ein Touch Romeo und Julia, hier und da erinnerte es an Les Miserables. Vor allem Bernedetta erinnerte mich Anfangs stark an Eponine. Nachdem sie von Mercurio wegen Guiditta verschmäht wird sinnt sie nach Rache. Ein großes Leitmotiv in diesem Buch, da auch Schimon, eine weitere Figur nur noch für seine Rache zu leben scheint. Und für sein Ziel Mercurio zu töten. 
Jede der Figuren hat abwechselnd ein Kapitel, was die Handlung vorantreibt, mehrere Geschichtsstränge verfolgt und so eine dicht gewebte Geschichte zustande bringt. Lange verfolgen alle ihre eigenen Träume, bis sich die einzelnen Stränge überschneiden und die Leben mehr und mehr miteinander verwoben werden. 
Bis zum großen Showdown vergeht einige Zeit, aber dank Di Fulvios Liebe zur Recherche und Details ist hier sowieso eher der Weg das Ziel. 
"Es ist schon merkwürdig, wenn einer, der sich nie groß für das Meer interessiert hat, sich auf einmal ein Schiff wünscht", fuhr Anna schließlich fort. "Raus damit, was war das Erste, das du mir gesagt hast, als du von deinem Traum gesprochen hast?"
"Dass ich Guiditta fortbringe..." 
"Nein."
"Die neue Welt..."
"Nein!" Anna packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. "Erinnere dich an das Gefühl!" 
"Dass... ich..." Mercurios Augen füllten sich mit Tränen.
"Sag es!"
"Frei sein will..."
"Wiederhole es!" 
"Dass ich... frei sein will."