Rezension

Allzeit bereit

Die Herzen der Männer
von Nickolas Butler

Bewertet mit 3.5 Sternen

Pfadfinder sind mir ja etwas suspekt und in ihren Uniformen sehen nur die bis 10jährigen niedlich aus, erwachsene Typen in kurzen beigefarbenen Hosen können schnell peinlich wirken, wenngleich ich den Klischeepfadfinder um seine Knotenknüpffertigkeiten beneide. Ich habe mir allerdings nie darüber Gedanken gemacht, wie groß diese Bewegung ist und ob Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Pfadfindern gemacht werden. Wenn ich ehrlich bin, kenne ich Pfadfinder nur aus Filmen. Und besonders militärisch wirkten die dort meistens nicht, obwohl ja offensichtlich der Gründervater ein britischer General war.

Nickolas Butler nutzt in seinem Roman die Tradition eines Pfadfinderlagers als Kulisse für seinen Querschnitt durch mehrere Generationen amerikanischer Familien und spart nicht mit Stereotypen und Klischees. Ich unterstelle ihm, diese bewusst in seine Geschichte einzubinden und bin allerdings noch etwas auf der Suche nach einer besonders schlüssigen Interpretation dafür. Als Leser starten wir im Jahr 1962. Nelson ist ein seltsamer Junge, der keine Freundschaften schließen kann. Aber er ist ein mustergültiger Pfadfinder und strebt dem Adler-Rang entgegen. Im Sommerlager der Pfadfinder ist er ein krasser Außenseiter und wird von den anderen Jungs schikaniert, wo es nur geht und dass sein frustrierter, prügelnder Vater als Aufsicht mit dabei ist, entspannt die Situation nicht gerade. Der einzige halbwegs freundliche Junge ist sein Gruppenleiter Jonathan und der einzige Erwachsene, der die Situation ansatzweise einzuschätzen vermag, ist der 80jährige Lagerleiter Wilbur. Als Kriegsheld aus dem 1. Weltkrieg zurückgekommen, hat er im Pfadfindertum einen Weg gefunden, mit seinem Kriegstrauma umzugehen. Auf Nelson wirkt er als großes Vorbild und so verwundert es nicht, dass auch er sich freiwillig beim Militär meldet und schließlich in Vietnam dient. Während Nelson den Kontakt zur eigenen Mutter abbrechen lässt, nachdem der Vater die Familie verlassen hat, hält er die Verbindung zu Wilbur und auch zu Jonathan über die Jahre aufrecht, tritt sogar Wilburs Nachfolge als Campleiter an. Im Sommer 1996 sind Jonathan und sein Sohn Trevor ebenfalls auf dem Weg ins Pfadfinderlager. Der 16jährige ist ein großer Fan von Nelson und so überrascht es nicht, dass auch er sich später dem Militär zuwenden wird. Sein Sohn Thomas wird 2019 ebenfalls eine Sommerwoche im Pfadfinderlager verbringen. Drei Generationen besuchen dieses Pfadfinderlager im Herzen Wisconsins. Das ist der rote Faden in Butlers Roman. An ihm entlang hangelt sich der Verlauf der Geschichte und die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft, die auf recht einfache menschliche Bedürfnisse heruntergebrochen wird. Männer, die sich als Alpha-Männchen begreifen und sich nehmen, was sie wollen. Ihnen wird der einfache Moral- und Verhaltenskodex der Pfadfinder gegenübergestellt und bereits im Lager selbst ad absurdum geführt. Die Jungen, die sich an ihn halten, sind die Verlierer im Camp und können sich später erst Respekt verschaffen, in dem sie selbst Gewalt anwenden und schließlich beim Militär landen. Ein Paradoxon sondergleichen: der hohe Moral- und Tugendanspruch lässt sich in der wirklichen Welt nicht umsetzen und wird schließlich beim Militär gesucht. Mein Kopf kommt da nicht mit. Ich begreife nicht ganz, was mir Butler sagen will. Wie soll ich die anhaltende Frauenfeindlichkeit, die er selbst 2019 krass und widerwärtig darstellt, einordnen? Pfadfinder sind auch keine besseren Menschen, obwohl sie es besser wissen müssten? Oder will er aufzeigen, wie gemeinschaftsbildend das Pfadfinderlager trotz allem sein kann? „Die Herzen der Männer“ wirken, je weiter ich mich in ihren Seiten verliere, verstörend auf mich. Und dennoch kämpfe ich mich bis zur letzten Seite durch. Butler ist ein guter Erzähler, er hält die Spannung in seiner Story geschickt aufrecht, enthüllt erst nach und nach an passender Stelle die entsprechenden Informationen, um die Figuren besser einordnen zu können. Und ich bleibe bei der Theorie, dass er die Vorhersehbarkeit an manchen Punkten seiner Geschichte mit Absicht einbaut, ebenso wie er die Figuren klar überzeichnet. Dennoch erscheint mir das Ende am wenigsten durchdacht und wirft für mich die meisten Fragen auf. Vielleicht interpretiere ich als weiblicher Leser seinen Text auch anders, als dies ein männlicher Leser tun würde. Aber gerade mit Blick auf die aktuelle #metoo-Debatte bleibe ich immer wieder an der Darstellung vom Umgang zwischen Mann und Frau sowie an der Darstellung der Frau im allgemeinen hängen und bin nicht glücklich, dass Frauen in allen Jahrzehnten bei Butler keine wirkliche Eigenständigkeit erreichen, immer begrenzt werden auf ihre Beziehung zu einem Mann. Da finde ich mich persönlich nicht wieder und empfinde diese Eindimensionalität tatsächlich als recht frustrierend. Ich hoffe sehr, dass dies nicht die Lebenswirklichkeit der amerikanischen Frau ist.