Rezension

"Altes Land" - Schnörkellos schön

Altes Land
von Dörte Hansen

Bewertet mit 5 Sternen

Dörte Hansens Debüt „Altes Land“ kam bereits im Februar 2015 auf den Büchermarkt, wurde von der deutschen Leserschaft sofort freudig angenommen und stand lange auf der Spiegel-Bestsellerliste. Nun habe ich es endlich auch gelesen – und das mit großer Begeisterung.

Neu im Alten Land

Dörte Hansen erzählt in ihrem Roman von den Menschen des Alten Landes, einer Region in der Nähe von Hamburg. Im Vordergrund stehen die beiden Frauen Anne und Vera. Vera, die es im Kindesalter als Kriegsflüchtling ins Alte Land verschlagen hat, die seitdem dort in einem alten Bauernhaus lebt und der es nie gelungen ist, sich in ihrer neuen Heimat zuhause zu fühlen. Anne, die aus der großen Stadt – Hamburg – gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn aufs Land flüchtet, um bei ihrer Tante Vera Zuflucht zu suchen, weil ihr Mann sich in eine Andere verliebt hat. Die zwei Frauen sind zwar vom Charakter und Alter her sehr unterschiedlich, teilen jedoch das gleiche Schicksal – das der Einsamkeit, der Orientierungslosigkeit und das einer unverstandenen, ungeliebten Tochter. Beide sind Suchende, Ruhelose, scheinen ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden zu haben. Die Tatsache, dass Vera und Anne nun unter einem Dach leben, birgt Konfliktpotential, ebenso wie so manche Möglichkeit. Auf jeden Fall bietet sich ihnen die Chance auf ein Stückchen Veränderung, eine Chance, die sie zögernd und vorsichtig ergreifen.

Von Landmenschen und einer reizvollen Region

Auch wenn Vera und Anne die Protagonistinnen dieser Geschichte sind, so bringt die Autorin ihrer Leserschaft doch noch etliche andere Personen des Alten Landes näher. Es sind liebenswerte, kernige, exzentrische und verstockte Charaktere, durch die das Alte Land – sowohl das Buch als auch die Region – lebendig wird. Das ist der emsige Apfelbauer, der trotz aller Proteste seine Bäume mit Pestiziden bespritzt und ständig für den Erhalt seines Hofes kämpfen muss. Das ist der alte, verwitwete Hofbesitzer, der einsam und allein in seinem Reetdachhaus wohnt, weil seine drei Söhne ihn im Stich gelassen haben. Das ist der arrogante Journalist, der erst vor kurzem aufs Land gezogen ist – zurück zur Natur -, um die Idylle dort zu genießen und der sich für etwas Besseres hält. Und da ist seine Frau, die nach anfänglichem Enthusiasmus die Nase gestrichen voll hat von der Landluft und dem Landleben. Durch die geschickte Darstellung dieser – und weiterer – Personen bekommt man einen umfassenden und anschaulichen Eindruck von der Kultur und Geschichte des Alten Landes. Man lernt die Menschen dort ein Stück weit kennen, mit all ihren Liebenswürdigkeiten und Marotten. Auch die landschaftlichen Reize dieser Gegend kommen dabei nicht zu kurz. So möchte man am liebsten seinen Koffer packen und ins Alte Land reisen. Sei es auch nur für eine ganz kurze Weile.

Schnörkellos schön

„Altes Land“ ist ein Buch, das ich unheimlich gerne gelesen habe. Es ist ein ruhiges Buch, das einen dennoch mitreißt, das man nicht mehr aus der Hand legen möchte. Die Geschichte ist sehr leise erzählt, vieles spielt sich zwischen den Zeilen ab und bleibt nur angedeutet, so stumm und zurückhaltend, wie man sich die Bewohner des Alten Landes vorstellt. Ich schätze solche Bücher sehr, die unaufdringlich und schnörkellos sind, die dem Leser Raum zum Denken und zur Interpretation lassen. Aber auch ein wenig Ironie, Spott und Humor lässt die Autorin in ihr Debüt einfließen, besonders wenn es um die Eigenheiten der Landmenschen und das Gehabe der Städter geht. Insgesamt bietet „Altes Land“ also eine wunderbare, anregende und kurzweilige Leseunterhaltung.

Wer sich auf eine (literarische) Reise ins Alte Land begeben möchte, sollte dieses Buch unbedingt lesen!