Rezension

Das Gefühl von Heimat

Altes Land
von Dörte Hansen

Bewertet mit 5 Sternen

Vera ist als Flüchtlingskind mit ihrer Mutter auf den Hof von Hildegard von Kampke gekommen und dort bis heute hängen geblieben. Schon die Beschreibung des Hauses zu Beginn des Romans nahm mich für ihn ein: „In manchen Nächten, wenn der Sturm von Westen kam, stöhnte das Haus wie ein Schiff, das in schwerer See hin- und hergeworfen wurde. Kreischend verbissen sich die Böen in den alten Mauern.“ (Seite 7).

Auch Jahrzehnte später wird das Haus, das mit seinen Bewohnern im Mittelpunkt des Romanes steht, noch einmal beschrieben: „ Vera ließ sich von seiner vernarbten Fassade und dem derangierten Reetdach nicht täuschen. Das mochte angeschlagen sein, aber es würde noch hier stehen, wenn sie schon längst ihren Abgang durch die Brauttür gemacht hatte, die Füße voran.“ (Seite 48)

Vera verbringt ihr ganzes Leben in diesem Haus, wird aber von den Einheimischen trotz ihres plattdeutschen Dialektes immer als fremd hinzugekommen angesehen. Sie ist und bleibt unangepasst, was nicht jedem im Dorf gefällt. Doch in diesem Menschenschlag hat jeder seine Eigenheiten, die die Autorin gut zur Geltung bringt. Außerdem ist sie nicht die einzige Fremde, denn inzwischen haben auch die Städter das Landleben für sich entdeckt.

Eine weitere Hauptrolle spielt Anne mit kleinem Sohn. Sie lebt in einem vornehmen Stadtviertel von Hamburg und gibt Musikunterricht. „Die Kinder, die in ihre Kurse kamen, konnten nichts dafür, dass sie Clara-Feline oder Nepomuk hießen, dass ihre Eltern sie wie Preispokale durch die Straßen von Ottensen trugen und von einer Frühförderungsmaßnahme zur nächsten schleppten.“ (Seite 50) Nachdem Anne die unvermeidliche Desillusionierung einholt („Dann kam der Tag mit all den Windeln und den Flaschen, mit Schnullerketten, Handschuhen und Mützen, die immer weg waren, mit Kinderarztterminen, Sandformen, Matschhosen, Wickeltaschen, und plötzlich waren das Mutterglück und die Dankbarkeit nicht mehr auffindbar, sie rutschten tief unter die Feuchttücherpakete, gingen unter in Babyschwimmbecken und Getreidebrei“ - Seite 73) und sie den Vater ihres Sohnes inflagranti erwischt, flieht sie zu ihrer Tante Vera. Nach und nach gelingt es ihr, nicht nur die alte Frau, sondern auch das Haus und die Nachbarschaft zu verändern.

Das Buch hat mich schon alleine wegen der Sprache begeistert. Die Autorin schreibt amüsant und augenzwinkernd. Ihr entgeht nichts! Sie beobachtet sehr genau und erweckt ihre Protagonisten so zum Leben. Hier haben alle Charaktereigenschaften ihren Platz gefunden: Stolz und Vorurteil, Stärke und Schwäche, Trauer und Lebensfreude, Sprödigkeit und Gefallsucht. Für mich war dieses Buch ein echtes Lesehighlight.