Rezension

„Nicht gedeihen, nicht blühen, nur bleiben“

Altes Land
von Dörte Hansen

Bewertet mit 5 Sternen

„Distanziert und ein bisschen spröde“ - waren die ersten Eindrücke, die ich zu diesem Buch hatte. Ich mag solch schnörkellose Sprache recht gerne und so konnte ich mich von Anfang einlassen auf „Altes Land“. Manches muss genau so erzählt werden. Es dauerte nur wenige Seiten und ich war vollkommen gefangen von der Geschichte, in der neben Vera und Anne das Haus die eigentliche Hauptrolle spielt. Das Haus, das keine Fremden mochte. Das Haus, das ihnen aber dennoch eine Zuflucht bietet, den Flüchtenden, die dort stranden. Und gestrandet sind beide Frauen auf ihre ganz eigene Art.

S. 42 : „Sie war auf Ida Eckhoffs Hof gespült worden wie ein Ertrinkender auf eine Insel. Um sie herum war immer noch das Meer, und Vera hatte Angst vor diesem Wasser. Sie musste bleiben auf ihrer Insel, auf diesem Hof, wo sie zwar keine Wurzeln schlagen konnte, aber doch festwachsen an den Steinen, wie eine Flechte oder ein Moos. Nicht gedeihen, nicht blühen, nur bleiben.“

Solche Sätze muss man erst mal verarbeiten. Unweigerlich musste ich darüber nachdenken, ob es den meisten Flüchtlingen so ergeht. Gerade im Moment ist das Thema Flucht wieder brandaktuell und solche Sätze regen zu langem Nachdenken an. Und treffender hätte Dörte Hansen die Gefühle von Vera nicht beschreiben können.

Annes Situation ist eine ganz andere, aber auch sie ist geflohen vor einem Leben, das sie nicht mehr wollte: „Das Problem war ihre Wut. Rasende schäumende Wellen, riesige Brecher, Kaventsmänner. Ein Weltmeer von Wut und in ihrem Schiff ein Leck“ (S. 50) Derart kraftvoll und gleichzeitig behutsam erzählt Dörte Hansen die ganze Zeit. Viele Sätze sind ungeheuer eindringlich, dass sie unter die Haut fahren, ein langanhaltendes Kribbeln auslösen und manchmal sogar Tränen auf die Reise schicken.

Jedes Kapitel ist mit einer eigenen Überschrift versehen, die meistens aus ein oder zwei Worten bestehen und passender nicht sein könnten. Anfangs wird abwechselnd aus der Sicht von Vera und Anne erzählt und der unterschwellige Humor zauberte mir oft ein Grinsen ins Gesicht. In jedem Kapitel gibt es Besonderheiten zu entdecken. Makabere, humorvolle, traurige und ganz besonders rührende, die so herrlich unkitschig sind und Gänsehaut machen.

Ich weiß gar nicht, wie viele Sätze meine Augen zum Leuchten brachten wegen ihrer sprachlichen Schönheit. Viele Sätze habe ich mir ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen und gleichzeitig wurde das Herz ganz weit.

Zwischen den Zeilen werden noch viel mehr Themen angesprochen wie die Eifersucht unter Geschwistern, Sterbehilfe, fehlende Mutterliebe … um nur ein paar zu nennen. Und alles auf eine wunderschön behutsame Art und Weise, die mich ganz zart berührt hat.

Ich habe mich voll und ganz eingelassen auf die Geschichte aus dem alten Land und schon lange habe ich Sprache nicht mehr so genossen wie in diesem Buch. Ja, ich habe mich rettungslos verliebt in dieses Buch, in die wundervolle Sprache und den knochentrockenen Humor.

Fazit: Wer schöne Sprache liebt, wird diese Geschichte zweier gestrandeter Frauen, die einfühlsam und mit dem unvergleichlichen nordischen Humor erzählt wird, genau so lieben wie ich.