Rezension

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Autobiographische Aufarbeitung einer Mutter-Tochter Beziehung

Mutters Lüge -

Mutters Lüge
von Monika Hürlimann

Bewegende Lebensgeschichte mit harten Tobak, die schriftstellerisch nicht gut verkauft wird

Die aus Polen stammende Schweizer Psychiaterin Marta schildert ihr Leben und resümiert ergreifend die Beziehung zu ihrer Mutter. Jene war in den 80er Jahren illegal mit Marta und ihrem Bruder aus Polen nach Deutschland emigriert. Diese Entwurzelung ist bis heute für Marta von besonderer Relevanz, sorgt für eine permanente Suche nach Heimat und wird zusammen mit dem Geheimnis ihrer Mutter zum großen Gegenstand dieses Buches. Die spät - zum Zeitpunkt der Beerdigung - aufgedeckte Lebenslüge der Mutter gegenüber den Kindern und der Umwelt bringt sowohl Klarheit aber auch Rätsel für Marta mit sich, die bis ins Mark erschüttern. Inwiefern der Roman wirklich autobiographisch oder autofiktiv ist, bleibt für mich offen. Im Klappentext steht, das Buch beruhe auf der Lebensgeschichte der Autorin, obwohl auf Seite 4 steht, dass Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen nicht gewollt und rein zufällig sind.

Eine Beurteilung dieses autobiographischen Buches von Monika Hürlimann fällt mir schwer, weil eine Biographie als solche in ihrer Wahrhaftigkeit wertzuschätzen ist, die Lebensleistung schlicht anzuerkennen ist. Es ist erstaunlich, was so alles in ein Leben passt. Es ist großartig, wie Marta - sicher stellvertretend für Monika Hürlimann - mit den Herausforderungen des Lebens umgegangen ist. Und doch fehlt mir bei aller emotionaler Beteiligung am Schicksal von Marta etwas, denn die literarische Leistung bleibt hinter dem Inhalt zurück. Der Schreibstil zeigt deutlich, dass Monika Hürlimann keine Schriftstellerin ist und ein eigenes, auch emotional geprägtes und auf Kränkungen basiertes Interesse bestand, diesen Text von der Seele zu schreiben. Das Buch liest sich wie eine Selbsttherapie, welche sich die eigene Wirklichkeit so konstruiert, dass sie leichter auszuhalten ist. Forciert wird dies durch die Erzählperspektive aus der Ich-Sicht von Marta. Diese erzeugt besonders Verständnis und Empathie für die Brille von Marta, es bleibt jedoch bei dieser einen Seite der Medaille. So wirkt Marta auf mich stets ein wenig zu selbstbezogen und unreflektiert, auch weil kaum eigene Fehler und Anteile an den Entwicklungen benannt werden. So erscheint mir Marta stets wie ein Opfer der Umstände, der Unnahbarkeit der Mutter, ihres Exfreundes, obwohl sie dies sicher nicht immer war. Bspw. akzeptiert Marta als Kind gegenüber der Mutter und auch als Erwachsene gegenüber ihrem Partner Timo des öfteren Widersprüche, die sich als schmerzhaft und kränkend erweisen ohne eigeninitiativ entgegen zu wirken und sich somit selbst zu helfen. Mich würde dies nicht stören, wenn Marta diese Erkenntnis benannt hätte, statt nur aus Opfersicht zu schildern, was ihr „angetan“ wurde. 

Somit kann ich, obwohl ich das Buch flüssig lesen konnte, aufgrund der nicht ganz optimalen schriftstellerischen Leistung und der in Teilen fehlenden Reflexivität von Marta keine volle Punktzahl geben. Ich empfehle das Buch aber, zumindest allen, die Interesse an bewegten Lebensläufen haben, die gern in Familiengeschichten eintauchen oder ähnliche biographische Elemente wie Marta teilen.