Rezension

Unausgegoren

Mutters Lüge -

Mutters Lüge
von Monika Hürlimann

Bewertet mit 2.5 Sternen

Martas Kindheit in Breslau ist vom kommunistischen Alltag in Polen geprägt. Das Verhältnis zu ihrer Mutter, die augenscheinlich Martas Zwillingsbruder Tomek vorzieht, ist unterkühlt. Martas Mutter ist alleinerziehend und somit wird Marta schon sehr früh selbständig. 1984 reist die kleine Familie illegal nach Deutschland aus. Marta ist verwundert, dass ihre Mutter die neue Sprache fließend beherrscht. Mit Ehrgeiz und Willen, lernt auch Marta schnell deutsch, findet sich in dem neuen Land zurecht, macht Abitur und studiert Medizin. Nach dem Studium baut sie sich ein Leben in der Schweiz, fernab ihrer Familie, auf. Erst nach dem Tod ihrer Mutter erfährt sie von deren Lebenslüge, die Marta im Innersten erschüttert.

Die Geschichte wird aus Martas Perspektive und meist in chronologischer Abfolge erzählt. Es beginnt mit der Beschreibung ihrer Kindheit im kommunistischen Polen, in der Stadt Breslau, in einer heruntergekommenen Wohnung mit Schimmel an den Wänden und Ratten im Treppenhaus. Und später schildert sie ihren Neuanfang in Deutschland und ihr späteres Leben in der Schweiz.

Der Beginn des Buches ist sehr vielversprechend, denn als Leser:in erfährt man von den Lebensumständen in Polen in den 1970er/80er Jahren. Ebenso aufschlussreich gestaltet sich der Abschnitt, in dem die kleine Familie in Deutschland ankommt und sich ein neues Leben aufbauen muss. Allen Schwierigkeiten zum Trotz beißt Marta sich durch, um ihr Ziel, das Medizinstudium, zu erreichen.

Doch ab dem Punkt, als Marta ihr Medizinstudium beginnt, besteht die Erzählung nur noch aus einer Aneinanderreihung von Eckdaten Martas Werdegang betreffend. Anstatt den Figuren Tiefe zu verleihen, sich eingehend mit dem Mutter-Tochter-Konflikt auseinanderzusetzen, begnügt sich die Geschichte mit unwesentlichen Geschehnissen in Martas Leben, welche die Handlung in keiner Weise voranbringen. Seite um Seite wartete ich auf die angekündigte Lebenslüge, darauf, dass die Geschichte wieder Fahrt aufnimmt, aber nichts als wandern, Fahrrad fahren und Schweizer Berge, gespickt mit ein bisschen Krankenhausalltag. Auch die Dialoge wirken oft hölzern und nichtssagend.

Erst auf den letzten Seite kommt das Hauptthema endlich zum Vorschein, leider sehr unausgegoren und schwer nachvollziehbar. Wer als Leser:in an dieser Stelle hofft, von der Geschichte noch in den Bann gezogen zu werden, wird enttäuscht.

Der zu Beginn entstehende, durchaus gelungene Spannungsbogen, verliert sich bedauerlicherweise im Verlauf der Geschichte in Belanglosigkeiten. Mich konnte die Erzählung nicht erreichen, zu sachlich und nüchtern ist der Ton des Romans, sodass es mir unmöglich war eine emotionale Verbindung zu den Charakteren aufzubauen. Gerade die Hauptfigur, Marta, blieb distanziert, teilweise empfand ich sie sogar als sehr oberflächlich. Ebenso erging es mir mit dem bedeutsamen Mutter-Tochter-Konflikt, der angedeutet, jedoch nicht auserzählt wird. Es fehlt die literarische Auseinandersetzungen mit den Charakteren und dem Thema an sich. Das Problem des Romans liegt meiner Ansicht nach darin, dass sich das Buch, das auf wahren Begebenheiten beruht, nicht entscheiden kann, ob es ein fiktiver Roman oder ein autobiografisches Sachbuch sein will.

 

Fazit

Mich konnte der Roman nur bedingt überzeugen. Aus meiner Sicht verschenkt das Buch sein Potential an eine zu nüchterne, emotionslose Erzählweise und das Schwanken zwischen Fiktion und zu viel Realität. Der Roman besteht vor allem aus Fakten, dabei taucht das eigentliche Thema nur als Randnotiz auf.