Rezension

Berührende Familiengeschichte

Irmas Enkel
von Leandra Moor

Bewertet mit 5 Sternen

Deutsche Geschichte in einem Leben

Leandra Moor erzählt mit "Irmas Enkel" Annis Lebensgeschichte. Anni, Jahrgang 1914 und  die jüngste von drei Kindern, lernt ihren Vater nicht kennen. Hart und entbehrungsreich ist das Leben, das sie mit ihrer Mutter und ihren Brüdern in Perlitz, einem fiktiven Ort im Anhaltischen führt. Erst als sie Bruno heiratet, scheint es sich zum Besseren zu wenden, aber dann bricht der 2. Weltkrieg aus und Bruno wird eingezogen. Als er nicht wieder heimkehrt, heiratet Anni ein zweites Mal.

Irma, ihre Tochter Helene und ihre drei Enkel sind auf dem für den Ehemann und Vater an der Front angefertigte Foto des Covers zu sehen.

Nach einem kurzen Prolog, in dem die Familie vorgestellt wird, unterteilt die 1973 geborene Autorin den autobiografischen Roman in zwei große Abschnitte. Zunächst wird Annis Geschichte bis 1945 erzählt, der danach folgende Abschnitt endet mit ihrem Tod in den 1980ger Jahren.

Leandra Moor hat ihren Roman in einem eher sachlichen Stil verfasst, was nicht emotionslos bedeutet. Sehr detailreich und langsam beschreibt sie das Leben in dem kleinen Ort, in der kleinen Kate und auf dem Hof von Annis Familie, aber auch das Dorfleben und die Bewohner. Dadurch wird die Geschichte lebendig und jeder, der auf dem Land groß geworden ist, kann sich diesen Ort lebhaft vorstellen. 1945 lernen Annie und ihre Schwägerin Lotte Edith kennen, die aus Ostpreußen fliehen musste und das Angebot, nach Perlitz zu kommen, annimmt. Ihr Schicksal, das ihres Sohnes Hugo und ihres Mannes Wilhelm, der als gebrochener Mann aus der Gefangenschaft zurückkehrt, steht exemplarisch für die vielen Vertriebenen, die sich eine neue Existenz aufbauen mussten an Orten, an denen sie nicht immer willkommen waren. Dies wird durch die Gespräche über die Erlebnisse mit Anni, aber auch der Eheleute untereinander und vor allem im Briefwechsel mit Ediths Schwester, die es mit ihren Kindern nach Bayern verschlagen hat, deutlich.

Ihr zweiter Ehemann ist das Gegenteil des liebevollen Brunos und heiratet Anni nur wegen des Stück Land, das ihr gehört. Anni hat viel aus- und durchzustehen, das gilt aber auch für ihre Schwägerin Lotte, die aufgrund des Verhaltens ihres Sohnes Horst Repressalien ausgesetzt ist. Dieser Teil der Familiengeschichte ist ebenfalls detailliert beschrieben, so dass das Leben in der DDR lebendig wird.

Die Idee zu diesem autobiografischen Roman entstand aufgrund von Lücken in der eigenen Familienbiografie. In der Generation meiner Großeltern wurde nur sehr wenig über den Krieg gesprochen, eher von der Zeit danach. So habe ich z.B. nie erfahren, welche Erlebnisse mein Großvater an der Front und in der Gefangenschaft hatte. 

Fazit: "Irmas Enkel" ist ein wichtiger Roman für alle, die sich für die deutsche Geschichte interessieren. Die Protagonisten stehen stellvertretend für so viele Schicksale vor allem der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts und geben so vielleicht Antworten auf nie gestellte Fragen.