Rezension

Bewegendes historisches Drama

Krone des Himmels
von Juliane Stadler

Bewertet mit 5 Sternen

Der junge burgundische Adlige Étienne ist mit einer Behinderung zur Welt gekommen und wird von seiner Familie versteckt, weil sein deformierter Fuß ein schlechtes Licht auf seinen Vater werfen könnte. Als Étienne aus diesen beengten Verhältnissen flieht, lernt er den erfahrenen Wundarzt Caspar kennen, der ihn als Lehrling mit auf Reisen nimmt. Die beiden werden von Graf Guillaume angeheuert, um das französische Heer unter König Philippe über den Seeweg auf dem dritten Kreuzzug ins Heilige Land zu begleiten.

Aveline, ein junges Mädchen aus Lothringen, ist unschuldig in eine schreckliche Lage gekommen und hat dann einen entsetzlichen Fehler begangen. Nun fürchtet sie die ewige Verdammnis. Ein Geistlicher hat ihr auferlegt, als Buße ins Heilige Land zu pilgern, um dort am Heiligen Grab Abbitte zu tun. Zu diesem Zweck schließt sie sich einer Pilgergruppe an, die sich aber bald unter dramatischen Begleitumständen aus den Augen verliert. Um sich zu schützen, reist Aveline in Männerkleidung weiter und gerät so prompt in das gigantische Heer Barbarossas, das über den Landweg ebenfalls ins Heilige Land unterwegs ist.

Vor der Hafenstadt Akkon treffen sich die beiden Heere. Hier ist allerdings erst einmal die Reise zu Ende, denn bevor man gen Jerusalem ziehen kann, muss zunächst diese strategisch wichtige Küstenstadt von den Sarazenen zurückerobert werden. Und die Belagerten sind zäh ...

Die Historikerin Juliane Stadler legt hier ihren brilliant recherchierten und packenden Debütroman vor. Dabei gelingt es ihr außerordentlich gut, das Dilemma der ausharrenden Heerscharen und die Gefühle der in den Krieg verwickelten Menschen dem Leser nahezubringen. Sie beweist auch Geschick im Einsatz der zeitraffenden Funktion wechselnder Schauplätze. Hin und wieder erhalten wir Einblick in das gegnerische Lager, und es wird immer schwieriger, sich auf eine Seite zu schlagen, denn Menschen mit Charakter und Herz entdeckt man hier wie da. Dieser Krieg ist kompliziert, und genau das kommt in all seinen erbarmungslosen Facetten hervorragend rüber. Schon im Epilog wird zum Beispiel messerscharf klar, wie drastisch das ist, wenn Menschen in so einem Heer kein Wasser mehr haben. Ich hatte bereits ein wenig Sachliteratur über die Kreuzzüge gelesen, aber Juliane Stadler lässt alles so plastisch lebendig werden, dass es in mir sehr starke Bilder hinterlassen hat. Aber das ist nicht alles. Nicht nur in der Figur des unabhängigen Wundarztes Caspar konfrontiert die Autorin den Leser mit einer sehr intelligenten Kriegskritik. Auch Étienne und Aveline müssen immer wieder ihre gelernten Ideologien überdenken. Und diese Bewusstwerdung geschieht ohne die aburteilende Position, die man aus Sicht des 21. Jahrhunderts angesichts solcher Ereignisse leicht einnehmen kann. All dies macht es zu einem ganz starken Buch. Die Muslime sind nur in den anfänglichen Erzählungen der Christen die Bad Guys. In der Erzählung der Autorin werden sie von Anfang an mit Würde behandelt. Das ist manchmal - wunderschön.

Klar, dass es in der Geschichte mehr als eine herzzerreißende Liebesgeschichte gibt; auch der offensichtlich in jedem Mittelalterroman obligate abgrundtiefe Bösewicht kommt vor - ein Umstand, der mich manchmal ein bisschen nervte, aber letztendlich den exzellenten Lesegenuss nicht verderben konnte. Kleine Ungereimtheiten, die man im Handlungsverlauf hin und wieder zu entdecken meinte, und selbst ein paar wenige allzu epische Kapitelabschlüsse fallen nicht wirklich ins Gewicht. Sprachlich ist der Roman durchaus gelungen; durch eine immer wieder leicht altmodisch gefärbte Wortwahl erzeugt die Autorin geschickt die richtige Atmosphäre. Nur ganz selten erlaubt sie sich einen faux pas wie das denglische „Desaster“, das wohl weder im Altfranzösischen noch im Okzitanischen vorgekommen sein sollte ... Ansonsten beweist die Julian Stadler großes Können im Umgang mit der Sprache. Gerade, wenn es um den emotionalen Umgang der Figuren mit den Grausamkeiten des Krieges geht, empfand ich jedes Wort als richtig gesetzt. Ich finde, es ist ein sehr überzeugendes Buch, das aus einer differenzierten und klugen Sichtweise die Problematik der Kreuzzüge nahebringt, bewegend, umfassend und ehrlich. Es zeigt auch, dass sich das Dilemma Jerusalems mit keiner einfachen Ideologie klären lässt, weder damals noch heute.