Rezension

Das Jennerwein-Universum 10.0

Am Abgrund lässt man gern den Vortritt - Jörg Maurer

Am Abgrund lässt man gern den Vortritt
von Jörg Maurer

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser Autor ist für mich eine Offenbarung. Der zehnte Fall für seinen Kommissar Jennerwein ist für mich der erste. Wenn die anderen Bände ähnlich „gestrickt“ sind, dann kann ich den Hype um Jörg Maurer verstehen, seine Spitzenplatzierungen auf den Bestsellerlisten.
Diesen zehnten Band, obwohl es mein erster Band ist, empfinde ich als schriftstellerische Meisterleistung. Das ist große Unterhaltung! Es beginnt bereits mit dem Aufbau des Romans, jedes Kapitel ziert eine große 10. In der Null verbirgt sich klein die Zahl des tatsächlichen Kapitels. Daneben stehen in kleiner Schriftgröße u. a. Bonmots, Zitate, Sprichwörter, Bemerkungen aus der Bibel oder von prominenten Leuten u.s.w., alles, was mit der 10 zu tun hat. Zu jedem Kapitelbeginn schmückt ein putziges Murmeltier die untere Seite.
Die Fülle an Informationen ist insgesamt exorbitant für einen Kriminalroman.

Ich möchte den Inhalt des Klappentextes nicht wiedergeben. Den kann jeder selbst nachlesen.
Es beginnt mit einem in lustigen Worten verfaßtem Prolog. Danach fängt der Roman mit den Hauptpersonen Ignaz und Ursel Grasegger an, einem scheinbar geläuterten Gaunerpaar, intelligent, gewieft, mit allen Wassern gewaschen, beide Genießer, gutem Essen total verfallen. Sie wollen wieder ehrlich werden und stehen kurz vor der Neueröffnung ihres Bestattungsunternehmens. Kriminalkommissar Hubertus Jennerwein tritt erst auf S. 26 ins Geschehen ein. Er befindet sich in entspannter Urlaubsstimmung, auf dem Weg nach Schweden. Noch. Doch es kommt recht bald alles ganz anders...
Der zehnte Fall nimmt seinen Anfang in einem nicht näher genannten prominenten bayrisch-alpenländischen Kurort im Werdenfelser Land. Das kann eigentlich nur Garmisch-Partenkirchen sein. In 70 kurzen Kapiteln werden mitunter sehr grausige Dinge auch noch einfallsreich witzig erzählt, in bestem schwarzen Humor. Die Seiten triefen nur so davon. Das schon mal als Warnung, für diejenigen, die das nicht mögen. Ich bin ein Fan.
Der Autor hat mit einer Menge Lokalkolorit den Leuten, egal wo, ob nun in Bayern, Österreich, Schweiz oder sonstwo aufs „Maul“ geschaut. Bis in die kleinste Nebenfigur sind die Charaktere präzise und anschaulich beschrieben. Seine teilweise skurillen Figuren sind aber nie überzeichnet. Die Spannung bleibt trotz des humorigen, leichten Sprachstils stets hoch. Es driftet nie in Klamauk ab. Jörg Maurer besitzt eine herausragende Beobachtungsgabe und kann sie optimal schriftstellerisch verwerten. So viele intelligente Einfälle! Er ist ein Quell grenzenloser Phantasie. Sogar für eine kurze Gastrolle vom kultigen Kluftinger, wo man fast seinen Vornamen erfährt, ist noch Raum.
Einige Begriffe habe ich gegoogelt, um herauszufinden, ob es diese tatsächlich gibt (z. B. Fausto Incontini, der Erfinder des Doppelschlages, eines selten ausgeführten, speziellen Präzisionsschusses oder die therapeuthische Methode Sassafran – beides fiktiv, aber gut erfunden). Das Buch gewährt viele Einblicke, Erkenntnisse, in einem Genre, bei dem man das nicht unbedingt erwartet. Ich hoffe, dass ich meine Begeisterung in etwa rübergebracht habe. Die Leser sollten es unbedingt selbst herausfinden.
Der 10. Fall ist alles das, was der Autor in seinem Kapitel Nachspiel (auch wieder ein besonderer Kunstgriff vom Autor – er blickt an einem runden Geburtstag zurück) selbst nennt:
der kniffligste, der brenzligste, der verschlungenste, der waghalsigste...S. 398
Fazit:
Deftige, urige Unterhaltungsliteratur, ein Krimi vom Feinsten!
Bei Maurer macht das Lesen einen Riesenspaß! Ich habe selten so oft und herzlich gelacht.
Mir bleibt nun noch die Freude auf die vorherigen neun Bände und auf den baldigen (?) 11. Jennerweinschen Fall!
Die Covergestaltung und die Aussagekraft des Titels fügen sich nahtlos in meinen positiven Gesamteindruck ein.
Von mir dringendst empfohlen, mit der Höchstbewertung!