Rezension

„Die Serienmörder werden auch immer fauler“ (S. 463)…

Die Seele des Bösen - Besessenheit - Dania Dicken

Die Seele des Bösen - Besessenheit
von Dania Dicken

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser Satz von Cassandra, Kollegin der FBI-Profilerin Sadie Scott, sollte keinen Leser täuschen, es geht zur Sache in diesem zehnten Band der Reihe.

Wieder einmal wird sie auf einen Cold Case angesetzt, da Leichen auftauchen, die auf den Modus operandi eines bereits Inhaftierten hindeuten. „Ist er denn psychiatrisch auffällig? Ich meine, mal abgesehen von der Tatsache, dass er ein nekrophiler Serienmörder ist.“ S. 57 ist die trockene Meinung dazu von Cassandra zum vorherigen Täter. Hatte dieser sich jedoch mit seinen bisherigen Taten eher gebrüstet, weist er die neuen Fälle weit von sich. Wie gewohnt setzt Autorin Dania Dicken das um mit vielen Hintergrundinformationen, ohne, dass das Lehrbuchcharakter bekommt. Dabei vermutet Sadie eine ganz spezielle Erklärung für einen etwas anderen Täter…Unheimlich, wie die Spezialistin Befragungen durchführt, sich in abscheuliche Taten hineindenkt: „So unmenschlich uns manche Mörder und ihre Taten vorkommen mögen, aber jeder von ihnen ist ein Mensch. Selbst Jeffrey Dahmer war nach seinem ersten Mord so schockiert von dem, was er getan hat, dass er das Morden erst mal sein gelassen hat.“ S. 19 Sadie scheut inzwischen selbst davor nicht zurück, ihre eigene Vergangenheit mit auf den Tisch zu legen, wenn es zum Showdown mit den gestörtesten der Verbrecher kommt, was teilweise schon grenzwertig ist.

Doch leider findet sie dieses Mal einen Gegenpart an einer unerwarteten Front: Sadie muss sich mit dem Thema Stalking auseinandersetzen, das leider so oft von Behörden ignoriert wird, bis es für das Opfer zu spät ist. Das macht beim Lesen zuerst neugierig wegen des noch nicht so stark abgearbeiteten Themas, wird dann schnell sehr persönlich – und entwickelt eine ziemliche Dynamik, bei der der Spannungsbogen konstant oben bleibt. Über die Erwartungen des Lesers hinaus baut sich ein Hintergrund auf mit einer auf einmal stark erweiterten Handlung – und einem Opfer, mit dem man so zunächst nicht gerechnet hatte.

Opfern von Gewalt werden häufig Vorwürfe gemacht - Vorwürfe, sie hätten die Tat begünstigt, sich in gefährliche Situationen begeben, oder, besonders perfide: sich nicht ausreichend gewehrt. Dania Dicken hat schon an anderer Stelle in eindringlicher Art und Weise dargestellt, dass den Opfern häufig (mindestens phasenweise) einerseits schlicht die Kraft für (weitere) Gegenwehr fehlt und dass sie andererseits einfach eine weitere Eskalation zu vermeiden trachten. Wir dürfen nicht vergessen: Der Täter ist der Schuldige. Das Opfer kann meist nur reagieren, muss mit Angst klarkommen, häufig Schmerz, dem Gefühl, das gerade etwas völlig falsch läuft, der Frage, warum es gerade selbst betroffen ist - und wird mit dem Instinkt des reinen Überlebenswillens reagieren, des Überlebens EGAL WIE. Der Täter dominiert in den meisten Fällen, damit ist das Wohl des Opfers von ihm abhängig - und oft beginnt die Gratwanderung, soweit auf die Täter einzugehen, dass das Opfer eine Chance erhält. Das wird bei sexuellen Übergriffen umso schwieriger. Hier wird ein Opfertypus in einem Kontext gezeigt, mit dem wohl Leser und Betroffene im Buch selbst eher nicht rechnen – was es nicht leichter für diese Opfer macht, aber mir über das Ende hinaus noch einiges zum Nachdenken übrig ließ.