Rezension

Ein Gesamtkunstwerk

Memory Wall - Anthony Doerr

Memory Wall
von Anthony Doerr

Bewertet mit 5 Sternen

Ich war ein wenig unsicher, was mich mit diesem Buch erwartet, aber ich habe mich darauf verlassen, dass Anthony Doerr weiß, was er tut und bin nicht enttäuscht worden.

Eigentlich hat man es hier mit einer Art Utopie zu tun. Irgendwie ist es möglich, Erinnerungen aus dem Gehirn zu extrahieren und auf Cassetten zu speichern. Und wenn man Geld genug hat, um sich spezielle Ports implantieren zu lassen, kann man diese Erinnerungen ansehen, als ganz besonderes Fernsehprogramm sozusagen. 

Diesen Service nutzt die 74jährige Alma Konachek, die in einer Villa in Kapstadt lebt und dement ist. Sie vergisst alles sofort wieder, kaum dass es passiert ist, deshalb schwelgt sie gerne in ihren konservierten Erinnerungen, die sie, liebevoll mit Fotos und Notizen versehen, an einer Wand aufgehängt hat. Betreut wird sie schon seit Jahren von Pheko, der in den Townships lebt und einen kleinen Sohn hat. Auch über Phekos Leben erfährt man einiges. Südafrika ist ein Land der Gegensätze.
Nachts durchsucht ein dreister Einbrecher regelmäßig ihr Haus, ohne Angst vor Entdeckung.

In wunderbar atmosphärischer Sprache wird hier eine Geschichte erzählt, die anfängt wie ein Rührstück zum Thema Demenz, Erinnerungen, Älterwerden, es aber schafft, dabei kein bisschen rührselig zu sein. Trauer spricht aus den Zeilen, auch etwas Fatalismus, aber gleichzeitig gibt diese merkwürdige Technik zur Erinnerungskonservierung Rätsel auf und dem Ganzen eine futuristisch seltsame Note. 

Dann wandelt sich das Geschehen und mausert sich fast zu einer Art Wissenschaftsthriller, ungewöhnlich, bedrohlich und spannend, auch wenn die tieftraurige Grundstimmung erhalten bleibt. Hier und da blitzt zynisch Humor auf, wechselt sich ab mit grandiosen Bildern und macht diese kleine Geschichte zu einem sehr besonderen Gesamtkunstwerk. 
Großartig!