Rezension

Ein literarischer Schlag in die Magengrube.

Und alle so still
von Mareike Fallwickl

Bewertet mit 4 Sternen

Mareike Fallwickl hat wieder einmal zugeschlagen. Mit Worten. Ihre Romane sind immer ein Schlag in die Magengrube. Schon bei "Die Wut, die bleibt" habe ich fast körperlich auf ihre Worte reagiert. Ein Kloß im Hals und Wut im Bauch. "Und alle so still" hat mich wieder genauso hart getroffen.

Fallwickl stößt hier einen Gedanken an, den ich bisher nicht in dieser meerscharfen Klarheit zuende gedacht habe: Was passiert, wenn Frauen von jetzt auf gleich alle Care-Arbeit niederlegen und sich einfach verweigern?! Wenn das, was seit Jahrhunderten gesellschaftlich als völlig "normal" angesehen wird, plötzlich einfach nicht mehr stattfindet? Mir hat dieses Gedankenexperiment in seiner unglaublichen Radikalität eine Gänsehaut nach der anderen beschert. Gerade Ruth, die sich aufopfernde Krankenschwester, hat es mir besonders angetan. Ruth, die ihren behinderten Sohn pflegte und sich dadurch ins gesellschaftliche Aus katapultierte. Weil eine vermeintliche "Normalität" uns so sehr bestimmt, dass wir davon abweichende Realitäten und Lebensverläufe gar nicht zulassen und mitdenken können. Ich weiß genau wovon Ruth spricht. Aus eigener, familiärer und beruflicher Erfahrung. Oder Nuri, der in absolut prekären Verhältnissen lebt und sich von einem miesen Job zum nächsten schleppt, um irgendwie zu überleben - auch vor dieser Realität verschließen wir nur zu gerne die Augen.

Klar, nun könnte man fragen, warum Fallwickl das alles mit dem literarischen Holzhammer erzählen muss? Denn ihre Bücher sind unglaublich schmerzhaft und ja, in gewisser Hinsicht auch belehrend. Weil meiner Meinung nach eine "nette" Geschichte einfach nicht mehr ausreicht. Es gibt unzählige Geschichten, die genauso viel bewirken wie das Klatschen für die Pflege in der Pandemie. Man klatscht, dreht sich um und macht weiter mit dem eigenen Kram. Fallwickels Romane sind radikal, sie gehen einen Schritt weiter (vielleicht auch einen zu weit) und denken um die Ecke. Das bleibt in Erinnerung, das lässt einen nicht so schnell los. Mich jedenfalls nicht.

Für mich war "Und alle so still" jedoch weniger ein Roman, als vielmehr ein Theaterstück. Das ist auch mein einziger Kritikpunkt. Die Figuren wirken ein wenig wie Schablonen oder Marionetten, die für diesen oder jenen Zweck auf die Bühne gestellt und verschoben werden. Man schaut von außen auf ihre Handlungen, aber bekommt sehr wenig von ihren Gedanken, Gefühlen und individuellen Entwicklungen mit. In diesem Fall heiligt der Zweck die Mittel, aber insgesamt war mir der Text als Roman ein wenig zu fragmentarisch. Auf einer Bühne würde er hingegen fantastisch funktionieren.

Lest alle diesen Roman oder geht ins Theater (denn ich wünsche mir unbedingt eine Bühnenversion davon!)! Die angesprochenen Themen sind einfach zu wichtig und groß, um nicht wieder und wieder und wieder aufgegriffen zu werden. Fallwickl macht das auf sehr radikale, aber auch berührende Art und Weise. Ich habe so viele Male einen dicken Kloß im Hals und Tränen in den Augen gehabt. Oder vor Wut gezittert. Genau das wollen wir doch von Literatur, oder nicht?