Rezension

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Ein Preis von unschätzbarem Wert

Das Los - Tibor Rode

Das Los
von Tibor Rode

Eine faszinierende Geschichte und interessante Figuren versprechen Spannung abseits gängiger Thriller-Klischees

Eine sich über Jahrhunderte erstreckende Lotterie, ein Mönch, der in der Gegenwart die Teilnehmer über ihre Ansprüche informiert und der kurz darauf ermordet wird ... wer aufgrund dieses Klappentextes eine mystische Schatzsuche gewürzt mit konspirativen Elementen im Stile Dan Browns erwartet, wird enttäuscht werden.

Stattdessen serviert der deutsche Autor Tibor Rode mit "Das Los" nach dem Erstling "Das Rad der Ewigkeit" ein sich über Kontinente und Jahrhunderte erstreckendes Abenteuer, in dem historische Fakten geschickt durch fiktive Elemnte verdichtet und aufbereitet werden. Sei es in den Slums von Mumbay, an den Pokertischen von Las Vegas oder an der Fontana di Trevi in Rom, die peniblen Recherchen des Autors ermöglichen es ihm, jeden Schauplatz zum Leben zu erwecken. Indem er die Sinneswahrnehmungen durch zahlreiche Details stimuliert, versetzt er den Leser zurück an den preußischen Königshof des 18. Jahrhunderts, läßt ihn die holprigen Pflastersteine auf einer Kutschenfahrt in den Knochen oder den Geruch der Straßen in der Nase verspüren.

In auktorialer Erzählperspektive wechselt der Autor zwischen seinen fünf Protagonisten, ohne sich dabei jemals in Nebensächlichkeiten zu verzetteln oder den Leser zu verwirren. Die Figuren weisen ausreichend eigenständige Wesenszüge auf, um sich nachhhaltig im Gedächtnis zu verankern. Nuanciert in Grauschattierungen gezeichnet, werden sie von ihren eigenen Absichten und Plänen getrieben, sodaß der Leser unbewußt, abhängig von der jeweiligen Situation seine Sympathien verteilt.

Im Laufe der Handlung kommt es - beginnend mit dem Mönch - zu mehreren mysteriösen Todesfällen, ein Element, das der Autor geschickt nutzt, um die Spannung zu erhalten, nachdem die Figuren eingeführt und auf ihre jeweilige Reise geschickt worden sind. Obwohl der Mörder erahnt werden kann, erlangt der Leser erst gegen Ende des Romans Gewißheit. Ein weiterer überaus geschickter Zug besteht darin, den Strang um Giovanni Calzabigi im 18. Jahrhundert lange parallel zu den Erzählpassagen der Gegenwart zu führen und den erforderlichen Zusammenhang erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt herzustellen, was die Neugier ins Unermeßliche steigert.

Diese Rezension bezieht sich auf die ungekürzte Hörbuchfassung, in der Robert Frank als Sprecher fungiert. Neben einer angenehm neutralen Tonlage für die Passagen des Erzählers hält er für jede Figur eigene Nuancierungen bereit und genießt es dabei deutlich hörbar, in die Rolle Calzabigis zu schlüpfen. In all seinem Sehnen, seiner charmanten Schlitzohrigkeit, seiner Verzweiflung tritt der Italiener, der das Lottospiel in Preußen einführt, am deutlichsten hervor, was seiner Sonderstellung im Quintett der Hauptfiguren gerecht wird.

 

Fazit:
Eine spannende Abenteuergeschichte, die ungewohnte Erzählpfade beschreitet, ohne allzu bekannte Stereotypen zu bedienen, das bietet "Das Los". Gewiß nicht unbeabsichtigt ist die Doppelbedeutung des Titels sowohl als Teilnahmeberechtigung für die Lotterie als auch als Synonym für den Begriff Schicksal ...