Rezension

Eine Kindheit

Rosie - Rose Tremain

Rosie
von Rose Tremain

Bewertet mit 4.5 Sternen

~~Ich kenne und schätze Rose Tremain als Romanautorin. In ihrem neuen Buch erzählt sie die Geschichte ihrer Kindheit. Es ist eine autobiografische Erzählung, sie verdichtet ihre eigenen Erinnerungen zu einem eindringlichen Bild einer exemplarischen Kindheit in der englischen oberen Mittelschicht. Auch wenn der Krieg viele Einschnitte brachte, lebte man wohlhabend und sorgenfrei. Die Sommer verbrachte Rosie – so wurde sie als Kind genannt – auf dem Anwesen ihrer Großeltern. Da fehlte es zwar auch an menschlicher Nähe, aber das Haus Linkenholt bot Geborgenheit und gleichzeitig Freiheit.
In London spürte sie noch stärker die Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit ihrer Eltern. Ihre einzige Bezugsperson und Vertraute war ihre Nanny, so wünschte sie sich oft, dass Nanny ihre Mutter wäre. Sehr schnell wurde sie und ihre Schwester in ein Internat geschickt, Fluch und Segen zugleich, weil sie dort anfangs noch einsamer war, aber durch ein, zwei engagierte Lehrerinnen gefordert und angeleitet wurde und so die ersten Schritte zu ihrem späteren Lebenswerk machen sollte.
Die Kindheitserinnerungen sind leicht, manchmal humorvoll, aber doch sehr eindringlich erzählt. Ich spürte die Verlassenheit von Rose, die sich an die wenigen Zeichen von Zuneigung ihrer Eltern klammerte. Der Untertitel „Szenen aus einem verschwunden Leben“ weist schon auf die manchmal anekdotische Erzählweise hin und sicher veränderten sich ihre Erinnerungen im Laufe ihres Erwachsenenlebens. Sie reflektiert ihre Kindheit und kann ohne Verbitterung und ausgesprochenen Schuldzuweisungen zurückblicken.
Es bleibt für den Leser aber der Eindruck einer lieblosen Erwachsenenwelt, die sie umgab. Die Kinder wurden wohlgenährt und gut gekleidet, aber blieben ansonsten eher ein Störfaktor im gesellschaftlichen Leben der Eltern. Das erklärt sich auch durch die eigenen Kindheitserfahrungen der Mutter, die nie Liebe erfuhr und die deshalb auch ihren eigenen Töchtern nicht weitergeben konnte.
Ganz besonders interessant fand ich, dass aus ihren kindlichen Begegnungen und Erfahrungen auch schon der Grundstock an Figuren ihrer späteren Romane gelegt wurde. Sie weist in Fußnoten auch immer wieder darauf hin. Ihre Erinnerungen enden mit dem Beginn ihres Studiums an der Sorbonne und markieren damit auch die endgültige Lösung vom Elternhaus.
Sehr gut gefallen haben mir auch die Familienfotos, die diese Erinnerungen abrunden. Dass die Autorin das Buch ihrer Nanny Vera Sturt widmet, zeigt wie wichtig ihr diese einzige Vertraute ihrer Kindheit war.
Wieder ein Buch von Rose Tremain, das mir ausgesprochen gut gefallen hat. Sie kann einfach wunderbar schreiben.