Rezension

eine Phantasie – eine Absurdität – ein Genie

Ich erwarte die Ankunft des Teufels - Mary Maclane

Ich erwarte die Ankunft des Teufels
von Mary Maclane

Mary MacLane war eine außergewöhnlich Frau - halb It-Girl ihrer Zeit, halb Ikone der sexuellen Erweckung in er Vor-Revolutionszeit, halb politische Streiterin der Frauenrechte. Wer rechnen kann, kommt jetzt auf 1,5 Hälften und nähert sich damit der Größe ihres Egos, das in ihrem ersten Text „Ich erwarte die Ankunft des Teufels“ aus jedem Absatz platzt: Eine Neunzehnjährige zwischen Pubertät und Erwachsenendasein, zwischen Provinz und Kultur, zwischen Schlaf und Erweckung und mit dem unbedingten Willen zu Ruhm und einem prallen Leben lässt dröhnend alle Emotionen heraus, die sie erfüllen.

Ihr Programm: „Ich bin eine Phantasie – eine Absurdität – ein Genie!“ (S. 154) Ihr Geniebegriff ist dabei von umfassender Gestalt, aber naiv, wie überhaupt der ganze Text ein unermesslich gesteigerter naiver Aufschrei nach dem Beginn des „eigentlichen“ Lebens ist. Dabei ist MacLane weder so außergewöhnlich noch so einzigartig, wie ihr Text tut. Ganz im Gegenteil erscheint es sehr modern, wie eine junge Frau alles will, Ruhm und ein glühendes Leben, ohne dafür viel zu tun. Letztlich wartet sie auf den Teufel, weil sie sich verspricht, von diesem alles geschenkt zu bekommen. Sie verhält sich wie jemand, der wahnsinnig gern Klavier spielen können möchte, aber wegen der Mühen keinesfalls Klavier spielen lernen will. Damit charakterisiert MacLane wunderbar den Moment des Atemholens, ehe sich der Mensch für die Richtung seines Lebens entscheidet, ohne eine Ahnung davon zu haben, was das bedeutet: Richtung, Leben oder Entscheidung. Deshalb ist das Buch auch kein Roman, aber auch keine Darstellung, wie MacLane es will (S. 11, 154, 175 u.ö.), sondern am ehesten ein Bekenntnis.

Obwohl MacLane behauptet, sie „habe keine Botschaft“ (S. 57), steckt ihr Bekenntnis doch voller sowohl drastischer wie subtiler Botschaften und legt das Seelenleben, einer an sich verzweifelnden (oder verzweifeln wollenden?) jungen Frau offen. Sie beobachtet dabei sehr genau das noch nicht ausgebildete Vermögen, sich selbst in den Kontext des Lebens setzen zu könne, das Unvermögen etwa, die Zeit oder die eigene Endlichkeit wahrnehmen zu können: „Neunzehn Jahre fühlen sich an wie eine Ewigkeit, wenn man neunzehn ist.“ (S. 92) Auch dass es der Teufel sein soll, ein „Mann-Teufel“ voll Virilität und ausgemalter Kraft und Herrlichkeit, ist ein Teenietraum. Mittels starker Emphasen und fortwährender Wiederholung sowie reihende Wiederaufnahme desselben Gedankens oder anderer Gedanken in derselben sprachlichen Form gibt MacLane ihrem Text den beschwörenden, starken und die Lektüre enthusiasmierenden Ton, der einen weiterlesen und offenen Mundes staunen lässt über die Frechheit und Unverfrorenheit der Jugend, Denn nur dieser fehlen alle Grenzen, auch die Grenzen des Egos - und das ist auch gut so.

MacLane findet in der inszenierten Übergröße ihres Egos nur megalomanische Vergleiche, sie etwa sei ein „Napoleon, wenngleich in einer weiblichen Version“. (S. 15) Napoleon ist auch öfter der Fixpunkt des Vergleichs, wenn sich MacLane zum Beispiel ihr lustbetontes, erfolgreiches Leben vorstellt, dann ist das pubertär, wie auch Napoleons Ich-Bezogenheit etwas Pubertäres hatte - oder mit Mary MacLane: „… man bekommt den Verdacht, dass Napoleon Bonaparte nur lebte, um Napoleon Bonaparte zu befriedigen.“ (S. 134 f.)

Es stimmt schon, dass die Mary MacLane ihres Ego-Pamphlets nicht immer sympathisch ist. Oftmals wirkt sie vielmehr pubertär, verzogen und immer überheblich. Doch gibt sie viele humorvolle Hinweise darauf, dass es ihr nicht ganz so ernst ist mit ihrer Koketterie. Das Lob auf die MacLane-Leber, der exquisiten Eigenschaften sie hervorheben würden (S. 23), ist ein ironisches Lob pars pro toto. Und auch der Zustand des Jetzt wird in ein iornisches Verhältnis gesetzt: Denn „die Welt ist noch ein reizvoller Ort, solange ich nur mein feines, blutiges Porterhouse-Steak aus Omaha habe.“ (S. 37) Wohlgemerkt: Im Ironischen wird beides gleichzeitig gesagt, die Aussage und ihr Gegenteil, und diese Ambivalenz speist den Text mit einer spannenden Würze, die ihn unwiderstehlich macht.

Ein Wehrmutstropfen mengt sich nicht etwa durch die Übersetzung in die hervorragende Ausgabe des Reclam-Verlages, sondern durch die Übersetzerin Ann Corton. Ihr naseweises Nachwort hat zu viel von Mary MacLane. Wie sich die Übersetzerin in den Vordergrund schiebt, indem sie zum Beispiel ihr „polnisches Gendering“ verordnet, eine unlesbare Buchstabenkombination aus allen für alle Geschlechter notwendigen Buchstaben (S. 186), empfinde ich als übergriffig und unpassend. Auch das zweite Nachwort von Juliane Liebert liefert nur flachen Kontext und kaum biographische Informationen, die über den hervorragenden Anmerkungsapparat hinausgehen.

Bis Seite 183 ein außergewöhnlicher, mitreißender Text voll Aktualität, Emotion und Anregung!