Rezension

Ergreifender historischer Roman

Das Leben in unseren Händen -

Das Leben in unseren Händen
von Eva Neiss

Bewertet mit 4 Sternen

In ihrem fesselnd erzählten Werk (FISCHER Taschenbuch, Januar 2022) um zwei ungleiche jüdische Schwestern und ihren Neuanfang in den USA zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs entführt uns Autorin Eva Neiss in die verheißungsvolle Metropole New York City.

Die beiden weiblichen Hauptfiguren könnten kaum unterschiedlicher sein – Hannah, aus deren Sicht erzählt wird, ist warmherzig, liebenswert, hilfsbereit, taktvoll und einfach eine Seele von Mensch. Sie hat große Träume und weiß genau, was sie sich vom Leben wünscht: Ärztin zu werden. Ihre hübsche Schwester Ada – nun ja, sie ist hübsch, das ist aber auch schon alles. Als sie und Hannah Ellis Island erreichen, ist sie gerade hochschwanger; über den Vater schweigt sie sich aus. Wider Erwarten lässt man sie nicht direkt einreisen, aber als es ihnen schließlich gelingt, führt der erste Weg direkt in den Kreißsaal, wo Ada – viel zu früh – eine Tochter zur Welt bringt. Sie hat keinen Bezug zu dem Baby und es kümmert sie nicht, ob das winzige Menschlein überlebt oder stirbt. Einzig dem beherzten und schnellen Eingreifen von Hannah ist es zu verdanken, dass die Kleine, der sie den Namen Sarah gibt, nicht aufgegeben wird. Dank der schicksalhaften Begegnung mit dem renommierten Dr. A. Couney nimmt auch Hannahs Leben eine unerwartete Wendung.

Die Schwestern Rosenbaum: Während ich einer von ihnen alles Glück der Welt wünschte, hätte ich die andere am liebsten geschüttelt. Selten habe ich solch eine unsympathische, manipulative, selbstverliebte, egoistische Figur wie Ada erlebt. Mal ganz davon abgesehen, dass sie sich ihrem Baby gegenüber absolut herzlos und abgestumpft verhält, denn wer weiß, was ihre Gründe dafür sind, erlebt man sie ihren Mitmenschen gegenüber stets nur schnippisch und herablassend; so als müsste jedermann dankbar sein, wenn Fräulein Ada sich auch nur im selben Raum aufhält und ihre Schönheit präsentiert. Arbeiten? Wie lästig. Ein reicher Mann muss her, ist doch klar. Der Autorin ist es wunderbar gelungen, den Charakteren Leben einzuhauchen und sie glaubwürdig agieren zu lassen. Wenn ich Ada auch nicht mochte, ihr Verhalten war stets schlüssig.

Zwar schlummert eine dezente Liebesgeschichte zwischen den Seiten dieses unheimlich gut recherchierten Werkes, das mit atmosphärischen Beschreibungen der damaligen Lebensumstände punktet und zudem das Schicksal gesellschaftlicher Randgruppen näher beleuchtet, sie spielt sich allerdings eher nebenbei ab. Das wahre Highlight für mich waren die Szenen zu den Anfängen der Neonatologie; diesen Aspekt fand ich total spannend, zumal ich bisher noch nie in etwas über dieses Thema gelesen hatte.

Ich weiß nicht, woran genau es lag, aber das in zwei große Abschnitte unterteilte Werk hatte insgesamt etwas Schwermütiges, leicht Deprimierendes an sich. Trotz zahlreicher Überraschungen und (u.A. positiver) Entwicklungen hatte ich beim Lesen des Öfteren ein erdrückendes Gefühl, eine graue Wolke über mir. Vielleicht muss man sich wirklich nur auf die Fakten konzentrieren und gewisse Elemente und Personen ausblenden, wer weiß. Die Autorin schreibt auf jeden Fall sehr gefühlvoll, klug und flüssig, daran lag es also gewiss nicht. Ich hätte mir mehr Details bzw. umfangreichere Passagen zu dem Krankenhausalltag mit den Frühchen gewünscht, da dies der Hauptgrund gewesen war, der mich auf den Roman neugierig gemacht hatte.

Das Cover gefällt mir von den Gestaltungskomponenten her gut, aber die Konturen der zwei abgebildeten Frauen sind meiner Meinung nach viel zu verschwommen und dem Buchtitel fehlt eine klare Kontur – vielleicht ein Schatten oder eine Umrandung der Schrift. Bei näherer Betrachtung sieht es leider nach einer eilig zusammengestellten PowerPoint-Folie aus. (Das meine ich gar nicht böse, sondern als ehrlichen Verbesserungstipp für zukünftige Ausgaben, denn das Buch verdient es definitiv, gelesen zu werden - und gerade im Genre Historischer Roman ist die Konkurrenz groß. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dem Klappentext oft nur selten eine Chance gegeben wird, wenn das Cover nicht optisch ansprechend ist.)

Fazit: Eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt und die ich allen Fans von historischen Frauenromanen gerne empfehle.