Rezension

Etwas Besonderes

Annette, ein Heldinnenepos - Anne Weber

Annette, ein Heldinnenepos
von Anne Weber

Bewertet mit 5 Sternen

Das Buch überrascht mit seiner gereimten Sprache, der Reise durch Jahrzehnte und dem ungewöhnlichen Blickwinkel einer kontroversen Person.

Ich wollte dieses Buch nicht mögen. Schon alleine dieses aufdringliche rote Cover, dieser sperrige, demonstrativ feministische Titel – als müsste auch dem dümmsten Proleten begreiflich gemacht wird, dass dies hier gehobene und gesellschaftskritische Literatur ist. Und dann geht es ausgerechnet um politischen Widerstand – ist ja klar, dass man mit so einem Thema den deutschen Buchpreis gewinnt. Diesen hat es auch nötig um überhaupt verkauft zu werden, zischen böse Zungen da. Aber das stimmt nicht. Ich knirsche mit den Zähnen, will es nicht zugeben, aber es ist wie es ist: dieses Buch hebt sich ab.

Der Erzählstil ist unglaublich. Ich konnte es am Anfang gar nicht fassen, aber das Buch ist schon fast ein Gedicht. Es reimt sich durch eine Erzählung, die die Autorin flott, aber nicht lieblos vorantreibt. Trotz der Poesie verliert sie sich nicht in sprachlichen Spielereien, baut Abstand zu den Personen auf und lässt den Leser gleichzeitig an deren Gefühlen und Gedanken teilhaben. Dieses Gleichgewicht zu halten, stelle ich mir sehr schwer vor und die Autorin meistert diese Herausforderung mit einer solchen ungerechten, aber anerkennungswürdigen Leichtigkeit, dass sie dabei auch noch die Muße hat immer wieder aus der Geschichte heraus und wieder hinein zu zoomen, persönliche Anmerkungen einfließen lässt und Verbindungen knüpft, die ich erst mit ihrer Hilfe erkennen kann.

Dabei passiert in der Geschichte so viel so schnell. Ich hatte mit einem gedehnten, ausschweifenden und hochintellektuellen Epos gerechnet, der sich anmaßt gehobene Literatur zu sein. Stattdessen ist sie fast schon bodenständig, verspielt und hält sich nie überaus lange mit einem Aspekt auf, sondern hüpft von einem Ereignis zum nächsten. Am längsten dauern noch die vielen Überlegungen und Interpretationen der Autorin und die machen das Buch ja eigentlich erst spannend.

Tatsächlich finde ich den Blick der Autorin interessanter als Annettes Geschichte selbst. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich die Protagonistin mag. Ich würde wahrscheinlich andere Entscheidungen treffen und hatte den Eindruck Annette würde mir das zum Vorwurf machen. Sie ist ein Hau-Drauf-Mensch, der immer erst macht und dann denkt. Ich denke erst und wenn ich zu dem Schluss komme, dass ich drauf hauen sollte, mache ich es vielleicht. Es ist diese Extreme, die Annette für mich auf Distanz hält und ich bin der Autorin dankbar, dass sie die Vermittlerrolle einnimmt zwischen mir und der Protagonisten. Sie sorgt dafür, dass ich der Erzählung trotzdem gerne bis zum Ende lausche.

Der Schluss spannt schließlich einen schönen und stimmigen Bogen über das ganze Buch. Er passt zum Rest der Erzählung. Diese war kurzweiliger als ich erwartet hatte und hat einen interessanten Blickwinkel präsentiert. Auch nach Ende der Lektüre bin ich nicht schlüssig, ob ich Annette mag, aber das Buch mag ich auf jeden Fall. Das zuzugeben widerstrebt mir noch immer etwas, aber nicht mehr, weil es Lob nicht verdient, sondern weil es sich so in meinen Kopf festgesetzt hat, dass ich noch Tage nach dem Lesen Sätze reime.