Rezension

Farbenprächtiges Bollywood-Drama mit Überlänge

Wir, die wir jung sind - Preti Taneja

Wir, die wir jung sind
von Preti Taneja

Bewertet mit 3 Sternen

Ein wahres Opus Magnum veröffentlichte 2017 die britische Journalistin Preti Taneja mit ihrem in England preisgekrönten Debütroman „Wir, die wir jung sind“, der kürzlich auf Deutsch im Verlag C. H. Beck erschien. Auf 630 Seiten in leider ermüdend lesbarem Kleindruck beschreibt die in England geborene Tochter indischer Einwanderer die politisch und gesellschaftlich wechselvolle Geschichte einer postkolonialen Familiendynastie, zugleich auch die Geschichte eines ganz Indien beherrschenden Firmenimperiums an der Schwelle zum Machtwechsel vom alleinherrschenden Patriarchen Devraj an die nachfolgende Generation.

Devraj Bapu, Sohn eines bankrotten Maharadschas, als Wirtschaftsmagnat Chef eines allmächtigen Mischkonzerns, in ganz Indien nur „The Company“ genannt, muss altersbedingt sein Erbe verteilen. Im Lauf der Handlung kommt es zum Machtkampf zwischen seinen drei Töchtern Gargi, Radha und Sita, Devrajs engstem Vertrauten und Teilhaber Ranjit Singh sowie dessen homosexuellen Sohn Jeet und dem außerehelichen Sohn Jivan, der, in den USA aufgewachsen, nach dem Tod der Mutter nun nach Indien zurückgekehrt ist. Preti Taneja schildert diesen Machtkampf der Generationen zugleich als Kampf der Geschlechter, als gesellschaftlichen Kampf zwischen Elite und Minderheiten oder Unterprivilegierten, als Kampf zwischen Kapitalismus und Umweltschutz, insgesamt als einen Kampf zwischen Tradition und Moderne.

Als Kennerin des traditionellen und heutigen Indiens schildert die Autorin sachkundig und sehr offen, teilweise auch recht sarkastisch die explosive Entwicklung in Wirtschaft und Industrie des heutigen Indiens und beschreibt sehr ausführlich die in Traditionen, Mythen und Religionen verankerte Benachteiligung der Frauen, das indische Kastenwesen und die fortdauernde und vielfache gesellschaftliche Spaltung. Einen politisch und gesellschaftlich aktuellen Bezug bekommt dieses gewaltige Familienepos vor allem durch Sita, die jüngste und vom Vater meistgeliebte Tochter, die als moderne Umweltaktivistin sich allen Tradition widersetzt und als Erste aus dem ihr aufgezwungenen „goldenen Käfig“ ausbricht. Nicht nur, aber gerade in der Person Sitas wird auch das gesellschaftspolitische Engagement der Autorin deutlich, die sich, beeinflusst durch ihre journalistischen Einsätze in Krisengebieten und in den Slums der Welt, als Menschenrechtsaktivistin engagiert und gegen gesellschaftliches Unrecht kämpft.

Der Roman „Wir, die wir jung sind“ liest sich wie ein farbenprächtiges Bollywood-Drama voller Dramatik, Liebe und Intrigen. Doch allzu detailverliebte Beschreibungen vieler Einzelheiten, die dem landesunkundigen Leser das ferne Indien näherbringen sollen, langweilen bald in ihrer Ausführlichkeit. Eine Straffung des Romans, der bei normaler Schriftgröße sicher auf 800 Seiten kommen würde, wäre der Dramatik und Spannung förderlich gewesen. So liest sich der Roman auf Dauer recht zäh. Schon die Fülle indischer Namen erschwert das Einlesen in die Handlung. Hinderlich ist auch die Vielzahl an [nicht übersetzten] Dialogen auf Hindi und die Verwendung indischer Begriffe, die nur zum Teil in einem Glossar im Anhang erklärt werden. So blättert man – oft vergeblich – hin und her, bis man schließlich frustriert darauf verzichtet und diese Stellen überliest.

Ungeachtet solcher Schwächen wurde Preti Tanejas Buch „Wir, die wir jung sind“ in Großbritannien mit dem Desmond Elliot Prize für das beste Romandebüt ausgezeichnet und die Autorin von Kritikern als „neue Stimme am Literaturhimmel“ gefeiert. Ob dies auch in Deutschland gelten wird, muss sich erst noch erweisen. Wer sich als Leser für Asien und speziell für Indien interessiert und beim Lesen etwas Geduld hat, wird an diesem Roman sicher seine Freude haben. Wer als Lektüre aber die schnelle Unterhaltung, Action und Spannung bevorzugt, wird mit dem Buch vielleicht etwas Mühe haben.