Rezension

Frau-sein im modernen China

Mulans Töchter - Bettine Vriesekoop

Mulans Töchter
von Bettine Vriesekoop

Bewertet mit 4 Sternen

Ein gutes, (wobei dieses bekanntlich Ansichtssache ist) interessantes  und verständliches Sachbuch zu schreiben, stellt bestimmt für jeden Autoren bzw Autorin eine große Herausforderung dar. Gerade das Eintauchen in eine fremde Kultur mit ihren Menschen und ihren Lebensweisen/Traditionen ermöglicht nicht nur einen Blick "hinter die Kulissen" von Land und Leuten, sondern erfordert auch eine ausreichende Portion Fingerspitzengefühl, die Geschichte derer zu erforschen und dieses von seinem Gegenüber authentisch, aber auch vorbehaltlos erzählt zu bekommen.
Die Autorin Bettine Vriesekoop selbst stammt aus den Niederlanden, wo sie auch heute noch wohnt, hat allerdings seit den 80-/90er-Jahren, nachdem sie ihre Profi-Tischtennis-Karriere beendet hat, immer mal wieder für längere Zeit in China als Journalistin und Autorin gelebt und gearbeitet. In dieser Zeit ist sie viel mit der chinesischen Kultur und deren Menschen, allen voran, den chin. Frauen in Kontakt gekommen - Frauen, die zwischen Tradition und Moderne pendeln, sich einerseits in Rollenklisches, auch durch den Druck der Familie und Eltern irgendwie fügen, aber im täglichen Leben auch stets "ihren Mann stehen" müssen. Ihre Assistentin Hu Ye, die sie auf ihrer Reise und Recherche für dieses Buch begleitet und auch das ein oder andere Treffen arrangiert, ist ihr dabei eine große Hilfe, denn ohne eine Landsmännin der Frauen vor Ort, hätte sich die ein oder andere der Gesprächspartnerinnen nicht so geöffnet oder bedingt "freizügig" über die diversen Themen wie Sexualität, Verhütung, Prostitution, Schönheits-OP´s, Ein-Kind-Politik, aber auch die 1000-jährige Tradition des Füßebindens - eine lebenslange, täglich angewandte (das Füße binden/bandagieren) und als Schönheisideal verkaufte "Foltermethode", die die Frauen letztlich an das Haus und den Ehemann im wahrsten Sinne des Wortes gebunden hat.
Die beiden reisen viel durch China bzw deren Großstädte, um an ihre Interview-Partnerinnen und Treffen mit diversen Frauen zu gelangen, stets auf der Suche nach der Geschichte der Frauen in diesem riesigem Reich, dass immer noch von Männern und ihren Moral- und Sexualvorstellungen geprägt ist. Eine Frau, die mit 27 Jahren, obwohl meist im Beruf sehr erfolgreich und auf eigenen Füßen stehend (herrlich, dieses Wortspiel! ;-) noch nicht verheiratet ist, gilt dort weitläufig als "Essensrestchen" - eben etwas, was anscheinend niemand will. Da sich viele Eltern nicht mit dem selbstständig-sein ihrer Tochter arrangieren können, gibts es vielerorts in schicken Parkanlagen regelmäßig einen Verkupplungsmarkt, in dem Eltern (meist sind es Mütter) mit Karteikästen ausgestattet, in dem sich Fotos und sämtliche Daten ihrer unverheirateten Tochter befinden, um diese an den Mann bringen zu wollen. In China ist es Tradition (gewesen), dass die Eltern den Ehemann und die Hochzeit der Töchter organisieren, Liebe und Sympathie spielen dabei kaum eine Rolle, denn schließlich geht es um Tradition und das Bild, dass die Familie als Ganzes nach außen hin abgibt.
Wie lebt es sich als moderne Frau in China, einem Land, dass viele mystische Legenden aufweist wie u.a. die Geschichte der Hua Mulan, die als junge Frau anstelle ihres Vaters, der zu alt gewesen ist, sich seine Kampfausrüstung anlegte und 12 Jahre an der Seite vieler Männer für ihren König gekämpft hat? Oder den Kampf der jungen Qiu Jin, die stets in Männerkleidung und mit Stock durch die Strassen gehend, Anfang 1900 für die Rechte der Frauen und deren Gleichberechtigung eingetreten ist und dafür letzlich mit dem Leben gezahlt hat? Fühlt sich die moderne Chinesin diesen sogenannten Schwertfrauen noch verbunden oder ist sie selbst auf der Suche nach einer eigenständigen Identität, weg von den alten Konfessionen? Ein Wandel findet statt, doch noch sind viele Frauen in den klassischen Rollen gefangen und trauen sich nicht, ihre Wünsche offen vor der Familie oder auch Freunden auszusprechen. Auch scheint es zwischen den Geschlechtern selbst zu vielen Missverständnissen zu kommen - Männer fühlen sich im Klischee sicher und stoßen damit die Frauen vor den Kopf, oftmals hat man den Eindruck, dass beide Seiten einsam und emotional verarmt sind...
Das Buch ist sehr flüssig zu lesen und führt einen durch das große Reich China - damals und heute, zumindest beides jeweils im Ansatz. Die Verknüpfung zwischen alt und neu gelingt der Autorin gut und verständlich, obwohl ich denke, dass das Thema sicherlich noch einiges zu bieten hat, auch wenn sich manches in dem Buch wiederholt. Alles in allem finde es es eine verständliche, spannende Lektüre, wenn man sich für das Thema und das Land interessiert. Schade allerdings, dass der Einband so dünn ist, musste es beim lesen bzw Transport in der Tasche gut einpacken, damit nichts zerknickt. Das Cover und die Farben sind schlicht, aber sehr ansehnlich gestaltet. Innen werden die Kapitel durch diverse Fotoaufnahmen und Drucke abgerundet - ingesamt hat mir das Buch gut gefallen!