Heimkehr nach Enniscorthy
Bewertet mit 4.5 Sternen
20 Jahre sind seit Eilis Auswanderung nach Brooklyn vergangen. Sie und Ehemann Tony Fiorello, dessen Eltern und zwei seiner Brüder leben jeweils im eigenen Haus gemeinsam auf einem Grundstück. Die Kinder des Paars sind fast erwachsen. Als Tony mit einer anderen Frau ein Kind zeugt, droht deren Mann, Tony und Eilis das Kind vor die Tür zu legen. Obwohl sie in ihrer Ehe vermutlich oft geschwiegen hat, stellt Eilis klar: sollte Tonys Kind im Fiorello-Clan aufwachsen, wird sie gehen. Tonys Vater betont, dass ein Vater grundsätzlich zu seinen Söhnen hält; die Schwägerinnen versichern Eilis zwar ihre Loyalität – aber nicht vor aller Ohren. Dass bei Fiorellos Frauen kein Mitspracherecht haben, könnte sich zwar als fataler geschäftlicher Fehler erweisen, die völlig isolierte Eilis kann sich mit einer Halbtagstelle als Buchhalterin jedoch eine Trennung ebenso wenig leisten wie Tony. Ein Konsens scheint unmöglich.
Bis das Kind auf der Welt ist, wird Eilis zum ersten Mal nach 20 Jahren ihre Mutter in Enniscorthy besuchen. Seit kurzem mit Tony verheiratet, hatte sie damals eine heftige Affäre mit dem Pub-Besitzer Jim Farrell, den sie bei ihrer Abreise nach New York ohne ein Wort sitzen ließ. Eilis konfliktreiche Beziehung zu ihrer betagten Mutter wird von deren Angst bestimmt, was die Leute über sie denken könnten. Eilis beugt sich dieser Macht der bigotten Gerüchteküche, um zu verbergen, dass ihr Herz noch immer heimlich für Jim Farrell schlägt.
Jim, außerordentlich beliebt und noch immer Single, liebt die verwitwete Nancy, Mutter dreier erwachsener Kinder und Inhaberin eines Fish&Chips-Shops. Unter dem Druck sozialer Kontrolle hat das Paar die Beziehung bisher mit großem Aufwand verheimlicht. Mitten in den Hochzeitsvorbereitungen für Nancys Tochter Miriam flammt in Enniscorthy daher eine brisante Dreiecksbeziehung auf. Nancy und Jim vermeiden das Thema Zukunftspläne nach dem Motto: Wer sich nichts wünscht, kann nicht enttäuscht werden. Eilis baut derweil am Luftschloss einer gemeinsamen Zukunft mit Jim, eine fragile Angelegenheit; denn was soll aus Jims Pub werden?
Fazit
Im katholisch geprägten Milieu kleiner Geschäftsleute, das Com Tóibín in seinem Fortsetzungsband über Eilis Lacey feinfühlig aufblättert, scheinen in den 70ern des vorigen Jahrhunderts allein Frauen für das Glück ihrer Partner und Angehörigen verantwortlich zu sein. Die manipulative Art der Beteiligten lässt für deren Luftschlösser allerdings das Schlimmste befürchten. Wie in „Brooklyn“ überzeugt Colm Tóibín mit seiner feinfühligen Charakterisierung einer Vielzahl an Figuren. Zum Glück stellt er den davon Getriebenen, was „die Leute sagen“, wenige normale Nebenfiguren gegenüber. Dieser Band konnte mich durch die ellenlangen Hochzeitsvorbereitungen etwas weniger begeistern als der erste Band, der zu meinen Lieblingsbüchern zählt.
-- Serien-Info
Fortsetzung zu "Brooklyn", Verbindung zu "Nora Webster" durch den Schauplatz (Nora verkauft nach dem Tod ihres Mannes das gemeinsame Ferienhaus, das heute Martin Lacey besitzt)