Rezension

Intensives Leseerlebnis, das zu eigenen Onlinerecherchen verführt

Die dunklen Mauern von Willard State - Ellen Marie Wiseman

Die dunklen Mauern von Willard State
von Ellen Marie Wiseman

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die Geschichten zweier junger Frauen, packend erzählt. Zum einen Clara, die Ende der 1920er Jahre von ihrem Vater in eine Psychiatrie eingewiesen wurde, da sie mit den Regeln ihres Standes gebrochen hat. Und zum anderen Izzy Mitte der 1990er, deren Mutter ihren Vater im Schlaf erschoss, als sie noch ganz klein war. Unterschiedliche Zeiten, unterschiedliche Geschichten, dramatisch verflochten.

Dieser Roman besteht aus zwei Erzählsträngen, die einander immer wieder abwechseln. Der eine spielt in den 1920er Jahren und handelt von Clara; einer jungen Frau, die sich trotz ihres gehobenen Standes in einen einfachen jungen Mann verliebt. Sehr streng und ohne jegliche emotionale Bindung von Seiten ihrer Eltern erzogen, begehrt sie zum ersten Mal in ihrem Leben auf, um der eingefädelten standesgerechten Zwangsheirat zu entgehen und mit ihrem Bruno zusammen zu leben. Daraufhin lässt ihr Vater sie in eine Psychiatrie einweisen, um ihr ihre vermeintliche Hysterie auszutreiben.

Der andere Erzählstrang handelt von Izzy, die in der Mitte der 1990er Jahre in einer Pflegefamilie aufwächst. Ihre Mutter hatte zehn Jahre zuvor ihren Vater ohne erkennbaren Grund im Schlaf erschossen und sitzt seither im Gefängnis. Zwischen Izzy und ihr besteht schon lange kein Kontakt mehr, als Izzy nun nach verschiedenen Fehlschlägen endlich nette Pflegeeltern zu haben scheint. Mit diesen begibt sie sich in die kürzlich geschlossene Einrichtung Willard State, um für ein Museum persönliche Gegenstände von ehemaligen Insassen zu katalogisieren. Hierbei stößt sie auf das Tagebuch von Clara und macht sich auf die Suche nach weiteren Informationen, wie Claras Leben verlaufen ist.

Eigentlich ist dieser Roman gar nicht mein übliches bevorzugtes Genre. Trotzdem fühlte ich mich von dieser geheimnisvollen Atmosphäre rund um die ehemalige Psychiatrie Willard State angezogen. Vor allem die Tatsache, dass zumindest der Ort und die Behandlungsmethoden wirklich so stattgefunden haben, ebenso wie eine Katalogisierung der später gefundenen persönlichen Gegenstände, reizte mich sehr.

Die Autorin schafft es, trotz der ständigen Perspektivenwechsel, den Leser völlig in seinen Bann zu ziehen. Bereits früh im Buch ist es möglich, sich in die Protagonisten einzufühlen, sich teilweise sogar mit ihnen zu identifizieren. Besonders hervorzuheben hierbei ist, dass nicht eine Figur hinter der anderen zurückbleibt in Sachen Spannung, Emotionalität und Dramaturgie. Das ist wirklich sehr gekonnt gemacht und wird durch den flüssigen Schreibstil noch sehr unterstützt. Der Leser wird immer schneller vorangetrieben; man möchte gleichzeitig sofort weiterlesen und gleichzeitig nimmt man sich bewusst zurück, da man die Ereignisse erst einmal verdauen muss. Sowohl die Zeit der Wirtschaftskrise und der Umgang mit Geisteskrankheiten in den 20er und 30er Jahren, als auch die typischen Probleme eines Außenseiters an einer amerikanischen High School inklusive klassischer Cliquenbildung werden realistisch dargestellt. Es wird deutlich, dass die Autorin sich sehr mit dem Thema Psychiatrie im Verlauf der Zeit auseinandergesetzt und viele Fakten recherchiert hat. Der wahre Kern der Geschichte macht die Dramatik um so stärker, wobei natürlich einige künstlerische Freiheiten herausgenommen wurden.

Der Roman hat verschiedene so nicht vorhersehbare Wendungen; und obwohl es sich an Dramatik teilweise kaum überbieten lässt, wirkt es nicht kitschig. Der Leser schwankt zwischen Hoffnung, Wut, Bangen, Erleichterung, Trauer und Freude. Auch die Idee, wie die beiden Erzählfäden am Ende verschlungen werden, war überraschend und bot ein gutes Maß zwischen Happy End und einem zurückbleibenden bitteren Geschmack auf der Zunge. Es ist damit durchaus realistisch und nicht überzogen, aber man denkt noch eine ganze Weile länger über die Ereignisse nach.

Da das Buch auf dem Sachbuch "What they left behind" beruht, das beschreibt, welche Gegenstände wirklich im Willard State gefunden wurden, gibt die Autorin im Anhang noch einige Informationen hierzu. Diese Fakten, nachträglich gelesen, haben mich noch mehr berührt, und ich werde mir dieses Buch ebenfalls noch zulegen. Zurück bleibt das Gefühl eines sehr intensiven Leseerlebnisses, das emotional einen tiefen Eindruck auf mich zurückgelassen hat. Von mir dafür 4,5 Sterne und eine klare Leseempfehlung.

Kommentare

yvy kommentierte am 20. Dezember 2015 um 13:13

Klingt ja richtig gut. Ich packe es mal mit auf meine immer fetter werdende Wunschliste. ;)