Rezension

Lesehighlight 2015

Die dunklen Mauern von Willard State - Ellen Marie Wiseman

Die dunklen Mauern von Willard State
von Ellen Marie Wiseman

Bewertet mit 5 Sternen

Unter dem Deckmantel der Barmherzigkeit

Das verfallene Gebäude der Psychiatrie von Willard State birgt viele dunkle Geheimnisse die nur darauf warten an die Oberfläche geholt zu werden. Die junge Isabel und ihre Pflegemutter Peg bekommen Zugang zu alten Patientenakten und Habseligkeiten aus längst vergessenen Tagen. Dabei stoßen sie auf ein Tagebuch der ehemaligen Bewohnerin Clara Cartwright, die anscheinend vollkommen gesund jahrzehntelang in Willard untergebracht war und vergeblich versuchte, der menschenunwürdigen Lebensweise und grausamer Misshandlungsmethoden zu entkommen. Izzy, deren Mutter selbst in psychiatrischer Behandlung ist, weil sie aus unerfindlichen Gründen ihren Mann erschoss, macht es sich zur Aufgabe das Schicksal von Clara zu durchleuchten. Sie entdeckt, dass Clara in Willard State Mutter geworden ist und ihr Kind zur Adoption freigegeben wurde. Wird Isabel die Tochter finden, um ihr die Wahrheit über ihre Mutter erzählen zu können?

Dieser Roman ist für mich ein absolutes Lesehighlight, weil er eine bewegende Geschichte aus der Vergangenheit so anschaulich, berührend und authentisch in die Gegenwart zu holen vermag. Historisch korrekt werden hier grausame Details ans Tageslicht gebracht, die für einen Menschen die Welt bedeutet haben. Eine Welt in der Willkür, Misshandlungen und Ungerechtigkeit zum ständigen Begleiter wurden und aus der es trotz enormer Bemühungen einfach kein Entrinnen gab.

Zwei starke Frauen stehen hier im Mittelpunkt der Erzählung, deren Gemeinsamkeit in ihrer Zuversicht, in ihrem Glauben an das Gute und der festen Überzeugung für ihr Handeln zu finden ist. Die eine musste ein beklemmendes Leben in einer trostlosen, grausamen Umgebung führen, die andere kämpft gegen die Geister ihrer eigenen noch jungen Lebensgeschichte. Beide Protagonistinnen werden charakterlich sehr intensiv beschrieben und die dabei entstehenden Handlungsstränge wechseln einander ab und begleiten den Leser durch diesen fesselnden Roman. Hier findet man geschriebene Worte, die mich ganz ohne Kitsch und Schnörkel zu Tränen gerührt haben, weil ihre Botschaft auf der zwischenmenschlichen Ebene liegt, auf der Liebe zwischen Mann und Frau, Mutter und Tochter und der Nächstenliebe ganz allgemein.

Fazit: Dieses Buch hat mich sehr bewegt und ich kann es mit gutem Gewissen weiterempfehlen, da es nicht nur einen spannenden Plot bietet sondern vor allem einen schonungslosen Blick auf die menschliche Psyche wirft. Auf die Sorgen und Nöte unserer Spezies aber auch auf das menschliche Urteilsvermögen, auf die Kraft der inneren Überzeugung, auf den Mut aus einem vorgeschriebenen Muster auszubrechen. Eine historisch anmutende Kulisse, starke Charaktere und eine große Portion Lebensweisheit kennzeichnen die Erzählung und werden mir noch lange in Erinnerung bleiben. Absolute Leseempfehlung!