Rezension

Joseph Maria Nechyba und der Schwarzmarkt

Der Henker von Wien - Gerhard Loibelsberger

Der Henker von Wien
von Gerhard Loibelsberger

Bewertet mit 5 Sternen

Der Autor entführt uns in seinem 5. Buch rund um den übergewichtigen Polizisten Joseph Maria Nechyba, in das Wien von 1916.

Der Erste Weltkrieg tobt. Der dritte Hungerwinter bricht an. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist mehr als notdürftig. Frauen und Kinder schuften in Fabriken um die eingezogenen Männer zu ersetzen. Das Anstellen um Nahrung wird zur Herausforderung. So manches Mädchen erliegt den Verlockungen dreister Männer und gleitet in die Halbwelt ab.

Manche Familien können sich die überhöhten Preise dennoch leisten. Sie fragen nicht genau nach der Herkunft der Nahrungsmittel. Zu diesen gehört – man muss es zu seiner Schande sagen – auch Oberinspektor Nechyba. Durch seine Frau Aurelia, die bei Hofrat Schmerda den Haushalt führt und seine eigenen Kontakte zu den Viktualienhändlern am Naschmarkt, ist der Speisezettel der Nechybas nicht ganz so spartanisch.

Ein Versorgungsengpass ruft natürlich sofort Gauner, Diebe und Kriegsgewinnler auf den Plan. Je größer die Krise, desto mehr Verdienst, desto wahrscheinlicher, dass es sich hier nicht um Kleinkriminelle sondern um generalstabsmäßig geplante Unternehmungen handelt.

So etabliert sich zwischen den kleinen Schiebern ein neuer „Global Player“, genannt die „Quelle“.

Nechyba ist mit mehreren Toten konfrontiert, die allesamt mit Schmuggel und Schwarzmarkt zu tun haben. Ein weitere Gemeinsamkeit: sie wurden alle erhängt. Auch wenn es anfänglich den Anschein hat, dass es sich eventuell um Selbstmorde handeln könnte, wird diese Hypothese bald ausgeschlossen. Den Erhängten wurde der Strick jeweils mit einem perfekten Henkersknoten um den Hals gelegt.

Das kann sobald niemand – ist hier also ein Profi am Werk? Wer ist im Stande den perfekten Henkersknoten nachzuahmen? Wer sind die Hintermänner?

Zu allem Überfluss müssen Nechyba und seine Mitarbeiter mit hochrangigen Militärs zusammenarbeiten, denen allesamt nicht ganz zu trauen ist.

Aufgefallen ist mir, dass die Polizei wenig zimperlich mit ihren Verdächtigen umgegangen ist. Nechyba tritt den Verdächtigen auf das Schienbein, na ja.

Der Titel „Henker von Wien“ war für mich zu Beginn ein wenig irreführend, da zu dieser Zeit Franz Lang dieses Amt ausübte (erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde der Scharfrichter 1919 außer Dienst gestellt).

Mir gefällt Loibelsbergers Art zu schreiben. Er verbindet gekonnt historische Zahlen, Daten und Fakten (ZDF) mit seinen erfundenen Figuren. Die Sprache ist den Gegebenheiten gut angepasst. Manchmal ein wenig derb, aber passend zum Milieu. Seine Figuren sind lebensecht und gut charakterisiert.